Nach dem Aus des bisherigen Fördermodells für den Turnsport in Ostbelgien arbeitet das Ministerium der Deutschsprachigen Gemeinschaft gemeinsam mit dem Verband deutschsprachiger Turner (VDT) und allen 17 Turnvereinen an einem Neubeginn. Mit einem langfristig angelegten Pilotprojekt soll der Sport breiter aufgestellt, professioneller begleitet und strukturell modernisiert werden.
Nach negativen Gutachten zur bisherigen Förderabteilung des Verbandes deutschsprachiger Turner (VDT) und dem endgültigen Aus des Turn-Leistungszentrums 2024 sucht der Turnsport in Ostbelgien neue Wege. Olivier Esser vom Fachbereich Sport im Ministerium erklärt, dass die bisherigen Strukturen nicht mehr tragfähig gewesen seien. "Dabei hat sich klar herausgestellt, dass mittel- oder langfristig die aktuelle Struktur einer Förderabteilung nicht mehr sinnvoll ist oder nicht mehr zu den Ergebnissen führen wird, die wir uns eigentlich alle wünschen."
In einem Übergangsjahr wurde die Arbeit des VDT gemeinsam mit einem luxemburgischen Experten grundlegend analysiert. Das Ergebnis: Ein komplettes Neudenken der Struktur ist nötig. Deshalb riet das Ministerium dem Verband, keinen neuen Antrag für eine klassische Förderabteilung mehr einzureichen. Stattdessen soll ein Pilotprojekt starten, das den Turnsport von unten aufbaut und gleichzeitig professionalisiert. "Wir möchten den Verband von der Basis auf stärken", so Esser. Eine Schlüsselrolle soll dabei eine technische Leitung bzw. ein sportlich-technischer Direktor übernehmen.
Zu den geplanten Maßnahmen gehören eine neue Talentsichtung, eine systematische Talentförderung, zusätzliche Fördertrainings sowie ein umfassendes Aus- und Weiterbildungsangebot für Trainer. Grundlage soll das internationale "Long Term Athlete Development"-Konzept (LTAD) sein, das bereits in Nachbarländern erfolgreich umgesetzt wird.
Erstmals wurden auch alle 17 Turnvereine in einer gemeinsamen Informationsrunde eingebunden. Die Resonanz war laut Esser groß. "Es gab ein großes Interesse, weil bis dahin auch nicht alle 17 Vereine an der Förderabteilung beteiligt waren. Uns war wichtig, dass wirklich alle einen Mehrwert darin sehen."
Ziel ist es, den Turnsport langfristig breiter aufzustellen. Esser beschreibt dies bildhaft: "Man kann es sich wie eine Pyramide vorstellen. Wenn die Basis breit ist, kann man oben eine stabile Spitze aufbauen. Ist die Basis zu schmal, bricht die Spitze irgendwann weg." Die frühe Spezialisierung soll reduziert, die Breite gestärkt und Talente früh und gezielt erkannt werden.
Mit Blick auf andere Sportarten und das Förderzentrum insgesamt denkt das Ministerium bereits weiter. Die bestehenden Förderabteilungen arbeiten noch bis Ende 2028 wie gewohnt. Danach wird neu bewertet. "Wir müssen uns langfristig überlegen, wie wir maximal effizient und sinnvoll arbeiten können", sagt Esser. In einer Region mit nur 80.000 Einwohnern sei es entscheidend, Talente früh zu entdecken und bestmöglich zu fördern. Ob das aktuelle Förderzentrum in seiner bisherigen Form bestehen bleibt, hängt daher auch vom Erfolg des neuen Turn-Pilotprojekts ab.
Ausführliches Radio-Interview mit Olivier Esser:
Christophe Ramjoie