Mit welchem Gefühl reist Team Belgien nach China?
Wir reisen nach China, weil wir natürlich sportlich erfolgreich abschneiden wollen bei den Olympischen Spielen. Insofern haben wir schon eine gewisse Spannung. Hinzu kommt natürlich, dass in der jetzigen Situation Reisen rund um den Erdball mit Corona und so weiter eine ganze Reihe von Verpflichtungen und von Protokollen mit sich bringen, die es zu befolgen gilt. Insofern sind es zum einen zuversichtliche Gefühle, dass wir erfolgreich abschneiden werden und zum anderen natürlich auch das Gefühl, doch Sorge zu tragen für eine Delegation, um am Ende auch wieder gesund zurückzukehren.
Team Belgien ist 19 Personen stark - elf Männer und acht Frauen in neun verschiedenen Disziplinen. Mit welcher Erwartungshaltung geht das Team an den Start?
Wir sagen ja immer, wir wollen es besser machen als bei den letzten Olympischen Spielen. Da waren in Pjöngjang vier Top-8-Plätze. Jetzt ist die Zielstellung, mehr Top-8-Plätze zu erreichen und mehr Sportler daran zu beteiligen. Das heißt also, auch in anderen Sportarten in die Top 8 der Welt bei Olympischen Spielen vorstoßen zu können. Ich glaube, da haben wir auch einen ganz guten Grund zu Optimismus und zur Zuversicht.
Wir haben in der Mannschaft sicherlich den einen oder anderen, der bewiesen hat, dass er in der zurückliegenden Saison in die Top 8 gehört hat. Ich denke an Kim Meylemans im Skeleton, ich denke an Loena Hendrickx im Eiskunstlauf und ich denke an die Geschwister De Smet im Shorttrack und vielleicht noch die eine oder andere Überraschung, die entstehen kann. Insofern ist unsere Erwartungshaltung und Zielstellung, dass wir mit fünf bis acht Top-8-Plätzen aus Peking zurückkommen. Davon darf auch gerne der eine oder andere mit einer Medaille verziert sein.
Schauen wir auf das Biathlon-Team. Fünf Biathleten sind mit dabei in dieser 19-köpfigen Gruppe. Welche Erwartungshaltung habt ihr an die Biathleten?
Zum einen müssen wir sehen, dass sich das Projekt Biathlon ganz positiv entwickelt hat. In den zurückliegenden Jahren war immer die Zielstellung, dass sich Belgien mit einer Männer-Staffel bei Olympischen Spielen zeigen kann. Es gab doch immer mal wieder Zweifel auf dem Weg, ob das denn dann auch möglich ist, das zu erreichen. Am Ende des Weges am 16. Januar konnten wir verbuchen, dass Belgien in den Top 20 der Nationenwertung bei den Männern steht und deshalb eine Staffel für Belgien in Peking starten kann. Das ist sicherlich schon mal der erste große Erfolg.
Der zweite Erfolg ist natürlich dann auch zu sehen, welches Niveau Einzelathleten in den verschiedenen Wettbewerben haben. Da sind sicherlich Florent Claude und dann auch Lotte Lie hervorzuheben, die in der laufenden Weltcup-Saison doch bewiesen haben, dass sie in die Top 20, Top 15, Top 10 - abhängig vom jeweiligen Wettkampf - vorstoßen können. Insofern ruht dann auch die Hoffnung auf den beiden Athleten, vorrangig auf Laurent und auf Lotte, dass sie das auch bei den Olympischen Spielen zeigen können und sie die Top 15 oder Top 20 der Welt erreichen können.
Über die Olympischen Spiele in Peking wird viel diskutiert. Es wird schwierig sein für die Athleten vor Ort. Wie geht Team Belgien damit um? Die Athleten sind ja im Vorfeld auch gebrieft worden. Wie ist das konkret verlaufen?
Wir machen das grundsätzlich vor den Olympischen Spielen, dass wir versuchen, die Mannschaftsmitglieder auf die Situation im jeweiligen Gastgeberland einzustimmen. Das haben wir auch vor Tokio gemacht, mit verschiedenen Experten aus verschiedenen Richtungen. Jetzt vor China war es so, dass wir die Erfahrungen von den Reisenden haben, die im Herbst bereits in China waren und an den Events dort teilgenommen haben, sowohl im Skeleton als auch im Short-Track. Athleten und Trainer haben ihre Erfahrungen mit allen anderen potenziellen Mannschaftsmitgliedern geteilt.
In der Vorbereitung auf solche Missionen stehen wir natürlich auch in Kontakt mit dem Auswärtigen Amt und erhalten Reise-Empfehlungen. Wir haben Kontakt zur belgischen Botschaft im Land, aber natürlich auch zur Botschaft des Gastgeberlandes in Belgien. Das ist auch in diesem Fall entsprechend wieder erfolgt.
Jetzt haben wir noch kurz vor Abreise eine Professorin aus Antwerpen eingeladen, die sich vor allen Dingen mit China, dem Wirtschaftssystem und der politischen Situation beschäftigt. Sie hat den Athleten einen sehr neutralen, sehr objektiven Blick auf die Situation in China mit auf den Weg gegeben. Wir hoffen, dass das hilft, den Athleten und den Mannschaftsmitglieder eine Vorstellung davon zu geben, wo sie sich befinden, wie das Land, in dem die Olympischen Spiele stattfinden, funktioniert und natürlich dann den Hintergrund für alles weitere liefert. Die Hauptaufgabe der Athleten und auch von uns ist, dass wir nach China fahren, um dort Sport zu betreiben. Wir werden versuchen, uns darauf zu fokussieren.
Fehlt dieser neutrale Blick auf die Volksrepublik China hier in den westlichen Medien schon mal?
Ich denke, es kommen mehrere Sachen zusammen. Auf der einen Seite ist es sicherlich gut, für Werte einzustehen, die in Westeuropa die Gesellschaft und das gesellschaftliche Zusammenleben und auch das politische Leben kennzeichnen. Ich glaube, es ist dann aber auch wichtig zu verstehen, wie andere Länder funktionieren, welche Werte, welche Kultur, welches politische Systeme eben dort bestehen und existieren. Im dritten Schritt ist es dann natürlich die große Herausforderung, die Dinge miteinander abzugleichen, zu vergleichen und zu überlegen: An welchen Punkten kann ich mit bestimmten Dingen einverstanden sein, mit bestimmten Dingen nicht mehr einverstanden sein und wo äußere ich mich dann auch dazu?
Der letzte Schritt erscheint mir manchmal gemacht zu sein vor dem ersten und dann werden sehr schnell Vorurteile verbreitet und Urteile gesprochen, ohne sich wirklich intensiver oder tiefgründiger mit allen Aspekten des jeweiligen Gastgeberlandes zu beschäftigen.
Sicherlich hat China eine besondere Spezifik, in die wir tiefer reingucken können. Die Frage ist halt: Wie viel Einfluss hat die olympische Bewegung auf so ein System? Und inwiefern trägt Westeuropa das System, das dort besteht, entsprechend mit, indem es Handelsgeschäfte mit China betreibt, und verschließt gegebenenfalls auch die Augen vor den Dingen, wo wir denken, in unserem Werte Kontext sollte das eigentlich anders sein?
Es wird ja auch darüber spekuliert, dass die Olympischen Spiele möglicherweise verfälscht werden könnten, dass Einfluss genommen werden kann auf die auswärtigen Sportler. Inwieweit kann man als Delegationsleiter seine Sportler, seine Equipe schützen?
Ich glaube, dass das IOC die Warnungen, die im Vorfeld bestanden, gehört und aufgenommen hat. Und es sind in der Zwischenzeit - gerade wenn es um die Frage der Manipulation von Corona-Tests und Corona-Testergebnissen geht - doch Zwischeninstanzen eingezogen worden, so dass eine willkürliche Veränderung oder ein willkürliches Ergebnis nicht mehr möglich scheint.
Es ist sehr viel Transparenz hineingekommen durch die Analyse-Technik in China, durch die Grenzwerte, die verwendet werden, um Tests auch als positiv zu werten, und durch die Möglichkeit bei einem unabhängigen medizinischen Panel sein medizinisches Dossier einzusehen und vortragen zu können, um am Ende eine andere Entscheidung zu bekommen.
Am Ende sind es Befugnisse, die der jeweiligen Behörde im Austragungsland obliegen - das war auch in Tokio schon so. Da hat natürlich das IOC oder auch ein Organisationskomitee nur beschränkte Möglichkeiten, darauf Einfluss zu nehmen. Aber die bestehen. Und ich glaube, dass wir da ein kleines Risiko haben, dass es wirklich zu willkürlichen Veränderungen von Testergebnissen kommt, die Auswirkung auf die Teilnahme von Athleten an Wettkämpfen haben könnte.
Insgesamt ist meine Einschätzung, dass China ein ganz anderes Bild in der Öffentlichkeit und auch in der medialen Berichterstattung zeichnen möchte, nämlich nicht des repressiven Staates, der sozusagen vielleicht die Freiheit einschränkt von Menschen, sondern genau das Gegenteil. Ich denke, dass sie das Bild in der Öffentlichkeit vermitteln möchten, dass sie ein tolles Gastgeberland sind, dass sie die Gäste, die nach China kommen, sehr herzlich willkommen heißen und ihnen auch den Aufenthalt unter den gegebenen Umständen so angenehm, so positiv wie möglich gestalten werden.
Peking ist nicht unbedingt als Wintersport-Region bekannt. Es gibt ja auch Vorwürfe, dass der Naturschutz dort mit Füßen getreten wird. Sollte darauf in Zukunft mehr Rücksicht genommen werden, insofern dass man halt nicht wochenlang künstlich beschneien muss, um um solche Spiele stattfinden zu lassen?
Ich finde, das ist ein absolut legitimer Aspekt und die Vergabe der Olympischen Spiele nach Peking liegt eben sieben Jahre zurück, wo das Thema rund um Klimawandel und so weiter noch nicht so weit entwickelt war wie heute und noch nicht so viel Aufmerksamkeit darauf bestand.
Aber es ist natürlich ein legitimes Interesse und damit müssen auch Olympische Spiele in der Zukunft Schritt halten. Das, was wir in Peking sehen werden, ist eine Mischung aus beidem. Zum einen Nachhaltigkeit in der Nutzung, denn im Olympiapark wurde nur die Eisschnelllauf-Halle neu gebaut. Alle anderen Hallen, wo jetzt Curling, Eiskunstlauf oder Eishockey stattfindet, existierten bereits. Da ist nichts neu gebaut worden, sondern das ist alles Substanz, die für die Olympischen Spiele 2008 schon bestand.
Wenn wir dann weiter in die Berge fahren, dann ist es natürlich so, dass da massive Erdbewegungen stattgefunden haben und man dort eine Ski-Region entwickelt und etabliert hat für die chinesische Bevölkerung. Da kann man natürlich zu Recht die Frage aufwerfen: Wie verantwortungsvoll ist das mit Rücksicht auf die Schonung der Ressourcen unserer Erde?
Ich denke, für die Zukunft haben wir jetzt zumindest mit 2026 in Mailand ein sehr nachhaltiges Konzept für die Olympischen Winterspiele. Dort werden die Wettbewerbe im Grunde genommen über die ganze norditalienische Alpenregion stattfinden und es wird zurückgegriffen auf bestehende Wettkampfstätten, egal ob im Biathlon in Antholz oder im Ski Alpin in Cortina oder Bormio und auch an anderen Wettkampforten. Das heißt, dort findet eine Kombination von Weltmeisterschaften an bestehenden Orten statt, die dann als Olympische Spiele firmieren und nicht alles in einem oder in drei olympischen Dörfern oder Clustern, wie wir das jetzt in Peking noch erleben werden.
Ich glaube, dass so ein Modell wie für Mailand 2026 auch den Weg in die Zukunft weist und dass wir auch mit dem Austragungsort 2030, der heute noch nicht bekannt ist, eher ein vergleichbares Konzept für die Zukunft finden werden und dieses Peking-Konzept, was wir jetzt kennen aus den letzten Editionen der Olympischen Spiele 2014 und 2018, ein Auslaufmodell ist.
Belgien ist jetzt nicht unbedingt die Wintersport-Nation. Das mediale Interesse an den Olympischen Winterspielen hält sich noch einigermaßen in Grenzen. Wie kann Team Belgien die Belgier für den Wintersport begeistern?
Ich denke, Belgien hat ein großes Faible für Wintersport. Wenn ich regelmäßig auf die Autobahn schaue, wie viele Belgier den Weg in den Süden suchen, mit der Ski-Box auf dem Dach, um selber Skifahren zu gehen oder sich im Schnee zu vergnügen, gibt es doch eine bestimmte Affinität dazu.
Das, was Team Belgien jetzt natürlich dazu beitragen kann, ist mit sportlichen Ergebnissen und positivem Auftreten bei den Olympischen Winterspielen genau diese Begeisterung auch für die Winterspiele zu entfachen. Ich glaube, da gibt es Anknüpfungspunkte und ich hoffe, so wie eingangs schon gesagt, das mit den positiven sportlichen Ergebnissen der Belgier in Peking dann genau dieser Funke überspringt.
cr/mg/sr