Er zeigt eigentlich kaum Gefühle, lässt sich noch weniger in die Karten blicken. Seine Antworten in Interviews sind im Allgemeinen eher einsilbig. Aber dieser Mann nahm im Ziel der Rallye Spanien freudestrahlend Glückwünsche entgegen, auch von den ungeliebten Journalisten. Man sah geradezu, wie der Druck von Ott Tänaks Schultern abfiel.
"Es war eine lange Reise. Ich habe immer davon geträumt, Weltmeister zu werden. Es war eine Art Lebensziel. Aber ich wusste auch, dass es nicht einfach wird. In meiner Karriere habe ich so ziemlich alles mitgemacht. Ich bin durchs Feuer gegangen - und durchs Wasser", sagt der frischgebackene Weltmeister.
Ti-Tänak
Denn bisher war er vor allem für seinen Tauchgang bei der Rallye Mexiko 2015 bekannt. Damals versenkte Tänak seinen Fiesta in einem See, was ihm den Spitznamen "Ti-Tänak" einbrachte. "Das zeigt, dass mir nichts in den Schoß fällt. Ich muss mir alles selbst erarbeiten. So war es auch bei dieser Rallye. Ich konnte hoffen, dass Thierry bei der Power Stage nicht alle Zusatzpunkte einfährt [dann wäre die Entscheidung vertagt worden], oder dass jemand anders ihn davon abhält. Oder ich konnte es einfach selbst machen. So war das schon immer."
Tänak erlebt sozusagen schon seine zweite Karriere. Seinen ersten WM-Lauf fuhr er bereits 2009. Nach ein paar Jahren auf höchstem Niveau erhielt er dann aber 2013 keinen Vertrag mehr und verschwand von der WM-Bildfläche. Bis Malcolm Wilson ihm 2015 bei M-Sport eine zweite Chance gab. Verdientermaßen, wie sich herausgestellt hat. 2017 fuhr er auf Sardinien seinen ersten WM-Sieg ein.
2018 wechselte Tänak dann zu Toyota. Schon in dem Jahr kämpfte er mit Ogier und Neuville um den WM-Titel, wurde am Ende Dritter. Jetzt hat er die Rivalen geschlagen. "Der Druck war dieses Wochenende enorm", sagt Tänak. "Das ganz Jahr war schon Druck da, aber jetzt war es wirklich schlimm."
Enormer Druck
"Die Medien haben die ganze Zeit darüber geredet und jeder hat mich ständig danach gefragt. Das bringt einen zum Nachdenken. Dir wird klar, was auf dem Spiel steht. Du darfst kein Risiko eingehen und musst trotzdem performen. Keine leichte Aufgabe, und das hat mich kurz aus dem Konzept gebracht."
Am zweiten Tag der Rallye Spanien lief es plötzlich nicht mehr so gut. Samstagmorgen ließ Tänak Zeit liegen. Der Druck war zu hoch, Tänak konnte nicht mit der Situation umgehen. Aber er schaffte es, den Stress herunterzufahren, und das Tempo wieder herauf. So holte er sich seinen ersten WM-Titel. Nach schon sechs Siegen dieses Jahr - also bei fast der Hälfte der Läufe - und einer Ausbeute von durchschnittlich 20 Punkten pro Rallye reichte ihm in Spanien der zweite Platz.
Und jetzt? "Jetzt kommt nächstes Jahr der zweite Titel", grinst Tänak. "Der erste Titel ist da, der Druck ist schonmal weg. Aber das Jahr ist ja auch noch nicht zu Ende. Beim letzten Saisonlauf in Australien will ich mit Toyota auch noch den Hersteller-Titel gewinnen."
Im Rennen sind noch Toyota und Hyundai - Tänaks aktueller Arbeitgeber und sein zukünftiger. Denn Donnerstagabend ist bestätigt worden, was schon seit dem letzten Wochenende als offenes Geheimnis galt. Der Weltmeister wechselt für die kommende Saison zu Hyundai und wird Teamkollege von Thierry Neuville.
Thierry Neuville gewinnt Rallye Spanien – Ott Tänak ist neuer Weltmeister
Katrin Margraff