Mancher Fußballfan macht in diesem Jahr ja seine ganz persönliche Tour de France. Den Radprofis steht ihre Tour der Leiden noch bevor. Wobei es für den ein oder anderen neben Leid auch Grund zur Freude gibt - denken wir mal an den Briten Chris Froome, den Tourgewinner von 2013 und 2015, der im Jahr dazwischen nach Stürzen frühzeitig die Segel streichen musste. Diesmal hat er den dritten Gesamtsieg im Visier, ein Kunststück, das (mit ein paar Jahren Verzögerung) auch dem Spanier Alberto Contador gelingen könnte. Der Italiener Vincenzo Nibali ist auf das Double aus, als amtierender Giro-Sieger. Froome selbst hat vor allem den Kolumbianer Nairo Quintana auf dem Zettel, der bei seinen beiden Toursiegen jeweils Zweiter wurde.
Die 14 belgischen Teilnehmer haben mit dem Gesamtsieg nichts zu schaffen, was 40 Jahre nach dem letzten belgischen Erfolg duch Lucien Van Impe hinreichend bedauert wurde. Greg Van Avermaet, Jan Bakelants oder Thomas De Gendt stehen im Dienst anderer Fahrer - sie könnten aber hier und da ein Ausrufezeichen setzen, wie Van Avermaet mit dem Etappensieg im letzten Jahr - oder Bakelants vor drei Jahren auf Korsika, was ihm für zwei Tage das Gelbe Trikot einbrachte. Bei Jurgen Van den Broeck, dem einzige Klassements-Fahrer der letzten Jahre, ist abzuwarten, ob er mit dem Team Kastusha an frühere Leistungen anknüpfen kann.
Die beiden belgischen Rennställe Lotto-Soudal und Etixx Quick Step dürften wieder voll auf ihre deutschen Sprintasse André Greipel und Marcel Kittel setzen - vor allem in der ersten Tourwoche, bevor es in die Pyrenäen geht.
Den Auftakt macht der berühmte Klosterberg Mont-Saint-Michel, der zuletzt 2013 die Kulisse für ein Einzelzeitfahren gebildet hat. Die erste Etappe 2016 führt zum Utah Beach, wo am 6. Juni 1944 die ersten amerikanischen Truppen landeten. Die Grande Boucle liebt solchen Verbeugungen vor der Geschichte. In diesem Jahr will Tour-Direktor Christian Prudhomme den Tross aber auch zu einigen unentdeckten Fleckchen führen, wie Arpajon-sur-Cère oder Villars-les-Dombes... Und wo die Tour in diesem Jahr mal nicht im Ausland startet, sondern auf französischem Boden, gibt es zumindest ein paar Ausreißer nach Spanien, Andorra und in die Schweiz.
Nicht fehlen darf der Mont Ventoux - er wird in diesem Jahr ausgerechnet am französischen Nationalfeiertag, dem 14. Juli, bestiegen. Dass diese Anstrengung ebenso wie die Pyrenäen und die Alpen ohne Hilfsmotor bewältigt wird - dafür sollen Wärmebildkameras sorgen. Der technische Betrug schwebt wie das Dauerthema Doping über den unglaublichen Leistungen, die wir auch in den kommenden drei Wochen wieder zu sehen bekommen werden. Und die ja gerade die Faszination der Tour de France ausmachen...
Stephan Pesch - Bild: Yorick Jansens/BELGA