Comics sind Teil der belgischen Kultur. Man nennt sie liebevoll anerkennend "die neunte Kunst". Einige von ihnen sind mittlerweile ein Vermögen wert, und sogar im belgischen Reisepass sind sie verewigt. Auch die neuen Trikots unserer Nationalmannschaft erinnern an die unverkennbare Uniform aus Tim und Struppi. Der Reporter und sein felliger Freund, aber auch die Schlümpfe, das Marsipulami und Spirou sind weltweit bekannt.
Rund 700 Comic-Autoren machen Belgien zu dem Land mit den meisten Zeichnern pro Quadratkilometer. Von allen Büchern, die im Jahr in Belgien herausgegeben werden, sind 60 Prozent Comics. Kein Wunder, dass das Comiczeichnen längst als echte Kunstform anerkannt ist. In Brüssel kann man sie sogar studieren.
Den ostbelgischen Künstler und Illustrator Boris Servais begeistern die Figuren und ihre Sprechblasen schon lange. "Comics haben mich als Kind schon fasziniert. Meine Eltern haben mich wie viele andere Eupener mit zum Medienzentrum geschleppt, da gab es immer eine Vielzahl von franko-belgischen und europäischen Comics. Und tatsächlich hat mich das dann zu einem Studium bewegt, damals an der Hochschule Saint-Luc in Brüssel, wo meines Wissens nach auch Hergé und Franquin, also die Zeichner von 'Tim und Struppi' und 'Gaston Lagaffe' gelernt haben."
Das erlernte Handwerk möchte der Künstler Kindern und Jugendlichen mit auf den Weg geben. Eine Woche lang erlernen sie in seinem Workshop Grundlagen und Tricks zum Zeichnen selbst ausgedachter Helden oder der beliebten Figuren aus franko-belgischen Comics.
Die Anfänge der belgischen Comic-Kultur gehen zurück ins 20. Jahrhundert. Damals erschienen die Comics noch nicht als eigenständige Hefte, sondern wurden in Tageszeitungen und Monatszeitschriften veröffentlicht. Im Jahr 1938 wurde in Belgien das Comic-Magazin "Spirou" gegründet. Das Heft bestand anfangs noch überwiegend aus übersetzten Geschichten aus den USA.
Während des Zweiten Weltkriegs wurde es jedoch fast unmöglich, weiter amerikanische Comics zu importieren. Für die jungen belgischen Comiczeichner entpuppte sich diese Notsituation als Chance, eigene Geschichten zu schreiben, wenn auch nur eingeschränkt und unter deutschen Zensurvorgaben.
Nach dem Ende des Kriegs sehnten sich die Belgier umso mehr nach Unterhaltung - und tun es bis heute, wie Boris Servais weiß. "Die Menschen leben für Geschichten, Geschichten bewegen uns. Comics machen eben genau das. Sie vermitteln das, was uns Menschen so bewegt. Es ist nicht von ungefähr, dass heutzutage die Kinowelt oder Streamingwelt jede Menge Quellenmaterial aus Comics übernimmt und dann als Film übersetzt, einfach weil Comiczeichner besonders große Freiheiten haben, originelle Geschichten zu erzählen."
"Spirou" überlebte den Krieg. Und neue Magazine schossen wie Pilze aus dem Boden. "Spirou" und das neu gegründete Konkurrenzmagazin "Tintin" etablierten sich als die einflussreichsten belgischen Comicmagazine. Bis heute prägen sie den Zeichenstil von Künstlern aus aller Welt.
Trotz aller Begeisterung ist das Handwerk vom Aussterben bedroht. "Ich würde sagen, dass die Erwachsenen heutzutage noch große Fans von franko-belgischer Comic-Kultur sind, während viele Jugendliche und Kinder sich schon eher zum Manga hingezogen fühlen. Ich fände es sehr schön, wenn die europäische Comic-Kultur eine Renaissance erfahren würde und wieder mehr in den Fokus rückt bei Kindern und Jugendlichen", so der ostbelgische Künstler.
Mit dem Workshop möchte er die junge Generation für das Zeichnen begeistern und die Kinder dazu inspirieren, eigene Helden zu erfinden. Diese könnten sich dann neben Tim und Struppi und Spirou in die lange Tradition der belgischen Comic-Helden einreihen.
Der Comic-Workshop mit Boris Servais findet vom 8. bis 12. Juli im Alten Schlachthof in Eupen statt. Mehr Informationen auf der Webseite des Alten Schlachthofs.
Carla Scheiff