Der Stellenwert der Mundart ist heute wieder ein ganz anderer als noch vor 30 oder 40 Jahren, als es in vielen Kreisen als "unschicklich" oder gar für die eigene Sprachenentwicklung "schädlich" galt, wenn die Kinder zu Hause Platt sprachen.
Das ist längst widerlegt. Mittlerweile gehört es fast zum guten Ton, auch der Mundart Gehör zu verschaffen - nicht nur bei uns, am Sonntagmorgen auf BRF2. In der deutschen Südeifel, wo der moselfränkische Dialekt wie auch in Ostbelgien noch sehr lebendig ist, hat sich Sylvia Nels in besonderer Weise dieser Sprache gewidmet: Sie hat mittlerweile selbst eine Reihe von Liedern in ihrer Eifeler Mundart geschrieben - oder übersetzt. In Ingendorf bei Bitburg betreibt sie eine kleine Musikschule.
Sylvia Nels, wir sind bei Ihnen in Ihrer kleinen Musikschule in Ingendorf bei Bitburg. Das hat einen besonderen Grund. Und zwar interessieren wir uns dafür, dass Sie die Mundart hier in Ihrer Region pflegen. Warum ist Ihnen so besonders daran gelegen?
Die Mundart ist mir ganz wichtig, weil sie viel über die Leute hier in der Region verrät. Diese Kleinigkeiten, die manchmal in der Sprache verborgen liegen, die herauszukitzeln, finde ich ganz wunderbar.
Ist Ihnen diese Mundart von klein auf mitgegeben worden oder haben Sie da erst später dazu gefunden?
Ich gehöre halt auch zu der Generation, die Anfang der 1970er geboren ist, wo dann die Lehrer propagiert haben "Bitte sprechen Sie Hochdeutsch mit dem Kind, das hat sonst Nachteile in der Schule". Da ist folgendes passiert: Ich habe drei Brüder und drei Schwestern und ich bin die Jüngste und meine Eltern fingen an, mit mir Hochdeutsch zu sprechen und auch meine Geschwister. Ich bin quasi mit Hochdeutsch aufgewachsen, aber war immer ein Außenseiter in der Familie, weil untereinander haben die immer platt gesprochen und für mich wurde quasi immer eine Extrawurst gebraten. Die drehten sich zu mir und sprachen Hochdeutsch. Oder eher eine Idee vom Hochdeutsch, muss man sagen, das war ja dann auch ziemlich "mit Streifen". Und ich fand das immer ziemlich doof. Ich habe dann im Teeniealter angefangen, selbst platt zu sprechen. Wir waren eine Gruppe Jugendlicher. Uns ging es allen so, wir haben uns immer im Jugendheim getroffen, wir waren so 13, 14, 15 und dann haben wir irgendwann gesagt "Su, well schwätzen mir nömme noch Platt". Und wir haben das dann so gut gelernt, dass heute die Eltern auch nicht mehr sagen "Wie schwätzt Du da su komisch? Schwätz leever Huhdöjtsch!".
Sie haben es dann sogar soweit gebracht, dass Sie diese Begeisterung und Liebe fürs Plattdeutsche verbunden haben mit Ihrer Begeisterung und Liebe für die Musik und eigene Lieder auf Eifeler Platt schreiben.
Ja, 1998 begann ich, Lieder auf Platt zu schreiben - und zwar aus einer Idee heraus. Wir haben immer an Karneval in Mundart gesungen und die Lieder waren so schön. Und ich habe mich mir immer die Frage gestellt "Warum singen wir die nicht das ganze Jahr über, warum nur an Karneval?". Ich fand das einfach so eine Verschwendung. Die Lieder haben mir so gut gefallen, dann fing ich einfach an, eigene Lieder zu schreiben. Und über das Schreiben habe ich mich mit dem Thema befasst. Auch. Gibt es überhaupt altes mundartliches Liedgut hier bei uns in der Region? Und da habe ich mit Erschrecken festgestellt, dass da so gut wie gar nichts da war. Das kann man geschichtlich begründen, weil die Leute hier in der Region, die wurden immer von einer anderen Seite überlaufen und erobert. Wir gehörten lange zu Luxemburg, dann kam wieder die andere Seite. Immer musste man dem anderen sein Lied wieder singen. Und dann ist es wahrscheinlich hier den Leuten in unserer Südeifel irgendwann der Gesang im Hals stecken geblieben. Und deshalb habe ich dann gedacht: So, wenn es keine Lieder auf Eifeler Platt gibt, auf unserem Platt, dann schreibe ich die einfach selbst.
Wie kommen Ihre Lieder auf Eifeler Platt denn beim Publikum an?
Ich habe mein erstes Album 2005 veröffentlicht und das war unfassbar: Die erste Präsentation war im Haus Beda in Bitburg, das war so überlaufen, es mussten sogar Leute nach Hause gehen, weil die gar nicht mehr diese Treppe hochkamen. Wir hatten dann den Flur mitbeschallt bis hinten zu den Toiletten. Überall standen Leute an Stehtischen, die gar nicht mehr in den Festsaal reingepasst haben. Die saßen auf den Heizkörpern und auf der Treppe standen die bis oben hin. Es war unfassbar. Ich habe schon ein bisschen Angst gekriegt wegen der vielen Menschen, die da reinströmten. Und dieses erste Album, das ich veröffentlicht habe, das hat so Riesenkreise gezogen. Große Resonanz. Die Leute haben sich so aus dem Herzen gesprochen gefühlt mit meinen Themen: "Hett ass Kniedelsdaach!", unser Nationalgericht, oder "Un da foahrn ma ma'm Bulldog un de Stausee". Das waren alles Themen, die kamen aus dem Herzen dieser Leute hier und die haben das dankbar angenommen.
Sie schreiben aber nicht nur Lieder auf Eifeler Platt, sondern auch auf Hochdeutsch.
Ja, wobei ich sagen muss: Ich tue mich sehr schwer damit, einen guten Text zu schreiben. Da vergehen Nächte drüber. Ich bin, finde ich, für die deutsche Sprache für mein Empfinden nicht lyrisch genug. Also wenn ich da sehe, was andere schreiben, dann bin ich immer voller Ehrfurcht. Manchmal ploppt vielleicht dann doch sowas heraus, wo ich denke ja, das ist mir jetzt ganz gut gelungen. Aber in Mundart diese Texte zu schreiben, ist für mich wesentlich einfacher, weil du kannst es einfach ausdrücken, aber es klingt nicht plump.
Das eine oder andere Lied haben Sie dann aber doch auch auf Hochdeutsch geschrieben und zum Teil auch mit einer sehr persönlichen Note ...
Ja, ich habe ein Lied geschrieben zum Thema Demenz. Wir hatten in der Familie ein Familienmitglied, das an Demenz erkrankt und mittlerweile verstorben ist. Dieser Alltag, mit diesem Menschen zusammenzuleben, da habe ich viel gelernt über diese Krankheit und auch über die Dinge, die er mir berichtet hat, was er so erlebt. Und habe das in einem Lied verarbeitet. Das Lied habe ich in Hochdeutsch geschrieben, aus einem Gefühl heraus, aber auch, weil der Erkrankte am Ende wirklich nur noch Hochdeutsch gesprochen hat. Sehr viel Hochdeutsch, was mich auch sehr gewundert hat. Und ja, da ist eben dieses Lied "Demenz" dabei herausgekommen.
Sie leben also hier in der Südeifel, in Ingendorf, haben eben schon erklärt, dass Sie mit ihren Liedern die Menschen hier in der Region auf jeden Fall erreichen. Geht das auch über die Südeifel hinaus, in die Nordeifel oder auch nach Belgien hin?
Mich macht das immer ein bisschen traurig, dass unsere Eifel eine Sprachgrenze hat. Wir haben in der Nordeifel das Ripuarische und in der Südeifel das Moselfränkische. Ich habe tatsächlich da einen sehr begrenzten Raum mit meiner Sprache und meinen Liedern. Da ist tatsächlich hinter Daun schon Ende. Da komme ich nicht weiter hinaus. Auch in die Nordeifel gar nicht. Die verstehen mich nicht sehr gut. Ich kann bis ins Saarland hinein mit meinen Liedern. Auch Luxemburg geht komplett. Ich kann bis vor Koblenz, die Mosel hoch und im Siegerland geht auch noch ein bisschen moselfränkisch. Also da habe ich überall schon Auftritte gehabt. Aber das hält mich natürlich nicht davon ab, meine Lieder weiter zu verbreiten. Ich war sogar in New York und habe da ein Konzert gegeben auf Ellis Island. Und ich habe gedacht, die Amerikaner brauchen auch mal ein bisschen Kultur.
Wer von ihr mehr hören will - auf Eifeler Platt, versteht sich - der kann sich die Eifeler Mundartsendung am Sonntagmorgen auf BRF2 anhören.
Stephan Pesch