Für den BRF hat Stephan Pesch dieses Kolloquium verfolgt. Im Radiomagazin "BRF Aktuell" hat er sich mit Gudrun Hunold über die Veranstaltung ausgetauscht.
Was wurde dabei angesprochen?
Wie bei solchen Anlässen üblich ging es um Rückblick und Ausblick. Und um die Feststellung, dass die Autonomie der Deutschsprachigen Gemeinschaft praktisch "im Windschatten" der belgischen Staatsreformen entstanden ist, sich darin fortentwickelt hat und dass es wohl auch künftig (bei einer siebten Staatsreform) darum gehen wird, diesen "Windschatten" bestmöglich zu nutzen. Geprägt hatte diese Metapher aus dem Radsport übrigens der Politologe Christoph Niessen: Demnach haben die deutschsprachigen Belgier nicht die Richtung vorgegeben und auch nicht das Fahrerfeld angeführt, aber ganz ohne selbst zu strampeln geht es auch nicht.
"Ohne diese eigenen Anstrengungen wäre es nicht dazu gekommen. Das soll auch diese Metapher des Windschattens verdeutlichen, bei dem der Fahrradfahrer vorne - sprich: die Flamen und Wallonen - natürlich das Peloton irgendwo nach vorne getrieben haben, der Deutschsprachige davon profitiert hat, der Fahrradfahrer dahinter aber dennoch auch persönlich so einiges an Anstrengungen hat aufwenden müssen, um im Peloton zu bleiben." (Christoph Niessen)
Das beschreibt also den Prozess, dass die Autonomie uns eben nicht in den Schoß gefallen wäre oder vom Himmel gefallen wäre - es gab sogar innere Vorbehalte und Widerstände -, aber die DG habe es geschafft, in diesem Windschatten zu bleiben oder sogar mal die Nase nach vorne zu stecken, wie das bisher Erreichte zeige.
Nun gibt es auch kritische Stimmen, die fragen: Brauchen wir das alles? Und können wir uns das leisten?
Diese Fragen wurden auch im Laufe des Kolloquiums aufgeworfen – wobei mir unter den Teilnehmern die Einsicht unstrittig erschien, dass sich die Autonomie lohne. Der Verfassungsrechtler Christian Behrendt beschrieb aber etwa die Ausgangslage für eine mögliche weitere Staatsreform, indem er die Finanzmittel aufdröselte, die in Belgien insgesamt für die politische Gestaltung zur Verfügung stehen und wo die Entwicklung hingeht. Für die DG selbst hatte er auch die eine oder andere persönliche Anregung im Gepäck, etwa aus dem PDG ein Vollzeitparlament zu machen, was aber (zumindest derzeit) außer Frage steht … und er äußerte sich auch zur garantierten Vertretung im Senat, der im politischen System Belgiens immer mehr an Bedeutung verliere.
"Wenn das die Grundlage ist und Sie wissen, dass Sie nur einen Mandatar auf föderaler Ebene haben, dann stelle ich mir schon die Frage: Ist er da nicht besser in der Kammer, also im Senat? Es gibt Leute, die sagen, wir hätten gerne einen sowohl im Senat als auch in der Kammer. Ich bin da eher ein bisschen gemäßigter. Ich würde sagen: Wenn es nur einen gibt, wenn das die Hypothese ist, dann muss man vielleicht schon andenken, zu sagen, er wäre eigentlich besser in der Kammer als im Senat. Denn der Senat ist zurzeit eine sehr alte Dame, aber die eigentlich überhaupt keine Motivation mehr hat und die auch intern jetzt Kräfte offenlegt, die sehr destruktiv wirken." (Christian Behrendt)
Aus der Runde der Teilnehmer an dem Kolloquium gab es zwar auch Stimmen, die forderten, dem Senat eine neue Bedeutung zu geben. Aber die Bemerkung des Staatsrechtlers Christian Behrendt ist natürlich auch insofern interessant, als dass die Rolle des Gemeinschaftssenators auch im PDG schon wiederholt diskutiert wurde und dieses Mandat etwa bei den Koalitionsverhandlungen mit in der Verlosung ist.
Welche Schlüsse werden denn jetzt gezogen nach dieser Veranstaltung?
Also ein Kolloquium ist natürlich in erster Linie eine wissenschaftliche Übung. Aber es waren auch einige PDG-Abgeordnete unter den Teilnehmern und Vertreter aus der Zivilgesellschaft. Maßgeblich vorbereitet und mitgestaltet hat diesen Austausch der langjährige Ministerpräsident und Parlamentspräsident Karl-Heinz Lambertz, der nicht dafür bekannt ist, dass er etwas nur tut, um die Zeit totzuschlagen. Er gab allen Teilnehmern mit auf den Weg, das eben angesprochene Konzept vom Windschatten als - wie er sagte - "fundamentalen" Schlüssel zu begreifen ... und als Instrument. Es ging also auch darum, die politischen Akteure dafür zu sensibilisieren und auf den Kurs des weiteren Autonomieausbaus einzuschwören.
Stephan Pesch
Über eine Sache wurde wie üblich nicht gesprochen. Daß die Bevölkerung nicht gefragt wurde, ob sie die Autonomie überhaupt will und in welchem Ausmaß. Die Autonomie wurde von oben verordnet, ist ein Gnadenakt. Das ist ein Fakt, der gern vergessen wird bei allen Diskussionen. Auch wurde nicht über direkte Demokratie nach Schweizer Modell gesprochen.