Kopfhörer auf. Das Theater kommt auf die Straße. Regisseur Simon Windisch hat sich eine Audio-Tour ausgedacht. "Hier wird die Geschichte von neun Häusern erzählt, die nach dem Zweiten Weltkrieg als einzige Häuser hier noch gestanden haben", erklärt er.
"Ob das stimmt oder nicht - aber es ist eine Geschichte, die erzählt wird. Wir suchen nach den Lebensgeschichten dieser Häuser und versuchen so, einen Überblick über die Geschichte der Stadt zu bekommen." Windisch stammt aus Graz. Auch in Österreich hat er sich historischem Stoff im Theater gewidmet.
Für die Agora schlüpft Line Lerho in eine der beiden Erzählerrollen. Ein Funkmikrophon sendet das Gesagte direkt in die Kopfhörer der Zuschauer.
Am Kreisverkehr an der Hauptstraße bleibt sie stehen. "Dieses Haus stand hier nicht immer. Es ist neu. Neu gebaut an den Platz gesetzt, wo früher ein anderes Haus stand. Fast. Das andere Haus war nicht beige. Das andere Haus war kein Restaurant. Hier stand das Haus Bast. Das Haus Bast ist jetzt nicht mehr hier."
Die zweite Erzählrolle übernimmt die Agora-Schauspielerin Viola Streicher. Sie steht auf einem freien Platz in einer Einfahrt der Heckingstraße. Viola erinnert an das Haus Hecking. Auch dieses Gebäude ist nicht mehr da. "Um 1800 wurde es erbaut von dem Justizrat Christoph Baptist und seiner Frau Petronella. Damals lag es in der Pulverstraße."
Eine Stunde lang führen die beiden Schauspielerinnen durch die Straßen von St. Vith. Vorausgegangen ist eine aufwändige Recherche in Archiven, aber auch in Form von Interviews.
"Ich empfinde das schon so ein bisschen als Auftrag, genauer hinzuschauen, gar nicht unbedingt ein Urteil zu fällen und einfach nochmal zu dem was zu sagen, was man denkt, schon gesagt zu haben. Aber vielleicht hat es nicht jeder so gehört. Und das ist vielleicht auch ein Auftrag der Kunst: darüber zu berichten, was uns wichtig erscheint", sagt Viola Streicher. "Die Zuhörer bilden sich über das Gehörte ein eigenes Urteil. Und daraus kann vielleicht nochmal was Neues entstehen."
"Neun Häuser" ist eine Momentaufnahme ostbelgischer Geschichte. Premiere feiert das Stück zu den Feierlichkeiten rund um 50 Jahre Autonomie der Deutschsprachigen Gemeinschaft. Am 24. Oktober entdecken 80 junge Menschen "Neun Häuser", freut sich die künstlerische Leiterin Catharina Gadelha.
"Nach dem Krieg, nach der Ardennenoffensive war St. Vith erst mal nichts. Praktisch nichts ist stehengeblieben. Und heute gehen wir selbstverständlich durch diese Stadt und denken, das ist ganz normal, das ist immer so. Nein, das war nicht immer so", erinnert Catharina Gadelha. "Das hat einen Grund, warum es so ist. Wir alle, die Bürger und Bürgerinnen dieser Stadt und alle, die hier arbeiten, tun praktisch jeden Tag alle etwas, damit es so ist. Und deshalb sind wir hier und machen das."
"Neun Häuser" versteht sich damit auch als politisches Stück. Vielleicht auch als Appell, sich für die Demokratie einzusetzen. Nach der Premiere Ende Oktober sollen weitere Aufführungen folgen.
"Neun Häuser" ist eine Audio-Tour durch die Straßen von St. Vith. Dauer des Rundgangs: circa eine Stunde. Geeignet ab zwölf Jahren.
Premiere feiert das Stück am Dienstag, 24. Oktober 2023 (9 Uhr). Eine zweite Vorführung findet am selben Tag um 13 Uhr statt. Treffpunkt ist am Triangel. Weitere Vorführungen sind geplant, aber noch nicht terminiert.
Mehr Infos unter auf der Webseite des Agora-Theaters.
Simonne Doepgen