Steigende Ölpreise, Inflation, fehlende Ressourcen ... was sich anhört wie ein aktueller Sachstandsbericht hat IHK-Geschäftsführer Volker Klinges in einem Geschäftsbericht aus dem Jahr 1973 gefunden, also dem Jahr, in dem die Autonomie in Ostbelgien mit der Einsetzung des Rates der deutschen Kulturgemeinschaft auf den Weg gebracht wurde.
Die Wirtschaft gab es vorher schon und auch danach unabhängig von den Autonomiebestrebungen. Mit der Zeit habe die DG aber eine Reihe von Zuständigkeiten übernommen, die "sehr wirtschaftsnah" sind, wie es Volker Klinges ausdrückt. "Da denke ich auch, dass wir unsere Rolle als Wirtschaft zu spielen haben. Ich betone immer wieder auch in vielen Sitzungen, dass wir nicht diese Weiterentwicklung der Autonomie der Politik allein überlassen müssen."
"Es ist unsere ureigenste Aufgabe, auch als Wirtschaft dafür Sorge zu tragen, dass die Region insgesamt sich gut entwickelt. Wir müssen Verantwortung übernehmen und wir übernehmen Verantwortung in vielen Strukturen, die dann in den Zuständigkeitsbereich fallen, wo ich sage, die sind jetzt eigen für die Deutschsprachige Gemeinschaft und trotz alledem Einfluss nehmen auf die Wirtschaft."
Volker Klinges denkt etwa an Unterricht und Ausbildung, an die Beschäftigungspolitik, aber auch an neue Zuständigkeiten wie die Raumordnung als Instrument der Wirtschaftsförderung oder das Wohnungswesen. Eine vereinfachte Staatsstruktur etwa nach dem Modell eines Belgiens zu viert sähe er positiv. "Also ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Wo wir achtgeben müssen und das möchte ich dann doch betonen, dass wir diese Entwicklung gemeinsam gehen."
"Das ist schon mal ganz wichtig, dass die Politik die Autonomie nicht als ihr Thema sieht, sondern alle mitnimmt. Und im Großen und Ganzen muss man sagen, in vielen Gremien sind wir ja unterwegs mit der Politik und versuchen gemeinsam die Entwicklungen zu unterstützen und dann entsprechende Vorschläge auch zu machen."
Unterstützung findet in der Wirtschaft das Standortmarketing der Deutschsprachigen Gemeinschaft unter der identitätsstiftenden Marke "Ostbelgien". "Ein großes exportorientiertes Unternehmen wird jetzt nicht mehr Umsatz machen, weil auf dem Briefpapier ein Unternehmen in Ostbelgien steht."
"Und trotz alledem muss die Wirtschaft auch mitgenommen werden bei dieser Maßnahme und bei dem, wie wir Ostbelgien morgen sehen. Und trotz alledem glaube ich auch, dass für den Einzelhandel, für die Dienstleister vor Ort diese Marke sicherlich gut ist, weil man auch den Konsumenten in irgendeiner Form motiviert nachzudenken, ob es nicht Sinn macht, vielleicht doch eher ostbelgisch zu kaufen."
Das alles dürfe aber nicht in Selbstbeschränkung enden. Dagegen spricht schon die Kleinheit des Gebietes. "Deswegen, glaube ich, muss man dann auch dieses Instrument der Autonomie dazu nutzen, hier diese Offenheit auch tagtäglich zu leben. Selbst wenn vielleicht für die eine oder andere Maßnahme die Grenze eben die Grenze der Deutschsprachigen Gemeinschaft ist, glaube ich, dass es wichtig ist, auch weiterhin diese kleinen, grenzüberschreitenden, sprachgrenzüberschreitenden Beziehungen weiter zu pflegen."
Hier, glaubt Volker Klinges, könne die Deutschsprachige Gemeinschaft, die in größeren Kooperationen oft nur der Juniorpartner ist, dann sogar in die Rolle eines Seniorpartners hineinwachsen. Genügend Erfahrung bringt sie mit ihren immerhin 50 Jahren ja mit.
Stephan Pesch