Nicht nur von gesellschaftlicher Bedeutung ist der Bereich Gesundheit, Familie und Soziales, sondern auch von finanziellem Gewicht. Inzwischen fällt kein anderer Haushaltsbereich so groß aus, wie Charles Servaty von der SP zu Beginn seiner Rede verdeutlichte. "Im Bereich Familie, Gesundheit und Soziales geht es zahlenmäßig um nicht weniger als 172,7 Millionen Euro. Das sind mehr als 30 Prozent des gesamten DG-Haushaltes. Darin berücksichtigt sind noch nicht die Ausgaben für Infrastrukturprojekte."
Fachkräftemangel
Mehrheitskollegin Liesa Scholzen (ProDG) bekräftigte: In den Bereichen wird weiter unterstützt. Die Zuschüsse für Wohn- und Pflegezentren werden um 14 Prozent erhöht, hinzu kommen Energiepauschalen und Unterstützungen bei Energieeffizienzmaßnahmen. Die kurzfristige Hilfe zeige, wie wichtig der Sektor der Mehrheit sei. "Das betraf die Wohn- und Pflegezentren, die häusliche Hilfe oder auch die Palliativpflege. Seit der Übernahme dieser Zuständigkeiten in 2019 investiert die DG 57 Prozent mehr in den Seniorenbereich. Das sind jährlich 16 Millionen Euro mehr."
Problemfrei ist der gesamte Sektor aber bei weitem nicht. Es besteht weiter Fachkräftemangel. Um beispielsweise die Arbeitsbedingungen in den Pflegezentren zu verbessern, hat die Regierung in einem Pilotprojekt Alltagsbegleiter eingeführt. Die CSP und Ecolo warnen vor einem "Gehaltschaos", das mit der Einführung des neuen Berufsbildes droht. Die Gehaltsunterschiede zwischen Alltagsbegleiter, Pflegehelfer und Krankenpfleger seien zu gering.
Pflegegeld
Auch das in den letzten Wochen breit debattierte Thema Pflegegeld wurde angesprochen. Hier sieht die Regierung Mittel in Höhe von fünf Millionen Euro vor. Mehr Senioren mit Pflegebedarf sollen von dem neuen System profitieren. Das soll auch administrativ vereinfacht sein. Die Maximalbeträge fallen im Vergleich zum wallonischen System aber geringer aus. Aktuelle Bezieher sollen durch eine Übergangsformel aber mindestens den selben Betrag erhalten, wie bisher.
Kritik hatte es von den Krankenkassen und der CSP gegeben, die ihre Vorwürfe gegenüber dem Minister erneuerte. Antonios Antoniadis reagierte entspannt. "In sechs Ausschusssitzungen haben wir hier diskutiert. Manchmal war die Sitzung nach einer Stunde fertig. 'Wir haben keine Zeit!', wurde gesagt. Sechs Ausschusssitzungen, manchmal nur eine Stunde lang. 'Wir haben keine Anhörungen gemacht!' - Ja, bin ich derjenige, der die Anhörungen organisieren soll? Also ich bitte Sie! Ich hatte kein Problem mit Anhörungen."
Zuspruch für das neue Pflegegeld, das 2023 in Kraft tritt, gab es von Vivant. Daneben kündigte Diana Stiel dem Sozialminister auch noch das Ende des Sozialstaates an. "In Würde altern, das wünschen wir uns doch alle. Da kann man in so schlechten Zeiten wie diesen, doch nicht nur Minderheitspolitik betreiben. Zweitens ist es an der Zeit, dass Ende einer Rundumversorgungspolitik einzuläuten und wieder mehr Eigenverantwortung des einzelnen Bürgers zu fordern. Die Politik muss die Rahmenbedingungen für ein Leben in Würde schaffen. Nicht mehr, und nicht weniger."
Andere Prioritäten
Braucht es in Krisenzeiten mehr oder weniger Unterstützung? An dieser Frage zerbrach am Mittwochabend der ein oder andere Redner. Minister Antoniadis warf der Opposition vor, keine Alternativen zum eigenen Haushalt aufzuzeigen. Mancher versuchte es trotzdem. "Die Prioritäten so zu setzen, dass an erster Stelle ein menschenwürdiges Leben für alle steht. Andere Projekte sollten jetzt zurückgestellt werden. Das Glasfaserprojekt ist beispielsweise ein strategisch schlaues Projekt", aber ein aktuell nicht notwendiges Projekt, fand Inga Voss von Ecolo.
Es brennt belgienweit im Sozialwesen. Da sollte die Regierung ihre Prioritäten doch anders setzen. Die Betreuungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung ab 21 Jahren müssten beispielsweise dringend ausgebaut werden, fand neben Ecolo auch die CSP-Fraktion. Und eine weitere Baustelle würde sich im Bereich Demenz auftun. Die Demenzfälle nehmen zu, es sollten also jetzt über feste Strukturen nachgedacht werden, fand Jolyn Huppertz von der CSP.
Die gab zu, Teile ihre Rede schon so in den letzten Haushaltsdebatten gehalten zu haben. Und vermisste die Gesprächsbereitschaft seitens der Regierung. "Ich kann diese Fakten und unsere Argumente jährlich wiederholen. Ich könnte sie vortanzen. Was würde sich ändern? Nichts. Und warum? Zum einen ist vieles in diesem Haus von Zeitdruck geprägt. Zum anderen scheint diese Mehrheit immun gegen produktive kritische Mehrarbeit der Opposition zu sein. Ich frage mich, ob dieses Scheuklappendenken noch zeitgemäß ist und ob wir so junge Menschen für Politik begeistern können."
Schon vor der Corona-Pandemie gab es im Bereich Gesundheit und Soziales viele Baustellen. Die sind durch die Pandemie nicht kleiner geworden. Nun kommt Energie- und Inflationskrise hinzu, die den Sektor hart treffen werden. Was braucht es in der Krise? Kürzungen oder Erhöhungen? Langfristige Investitionen oder kurzfristige strukturelle Anpassungen? Darauf eine Antwort zu finden, fiel am dritten Tag der Haushaltsdebatte besonders schwer. Das verdeutlicht, wie groß die Herausforderungen sind.
Andreas Lejeune