Es war der Prokurator des Königs von Verviers, der nach dem Zweiten Weltkrieg Auskünfte über ungeklärte Schicksale bei deutschen Behörden einholte. Während der Ardennenoffensive waren viele Akten verloren gegangen oder zerstört worden. Es geht um insgesamt 5.500 Akten wie Nicholas Williams, Leiter des Zentrums für Ostbelgische Geschichte, erklärt. Er hat zusammen mit seinem Kollegen Philippe Beck die Broschüre "Gerettete Erinnerung" erstellt. "Sehr viele davon sind deutschsprachige Belgier", erklärt Williams. "In vielen Fällen waren es zwangseingezogene Wehrmachtssoldaten, aber auch Deportierte, nicht zu verschweigen auch Kriegsfreiwillige sowie etliche politische Gefangene und Widerständler.
Sieben Kriegsschicksale haben Beck und Williams aus dem umfangreichen Material herausgegriffen. "Es ist stellvertretend für viele andere, weil es zeigt, dass Menschen sehr verschiedene Seiten haben können. Auch jemand, der eine schwierige Biographie hat, kann zu ungeahnter Größe und Mut finden und sagen: Diesem unmenschlichen System leiste ich Widerstand. Schicksale sind eben individuell, und die individuellen Motivlagen sind nicht immer so offensichtlich wie sie scheinen mögen. Man muss sehr situationsbezogen sehen, warum Menschen aus ihrer spezifischen Lage heraus so gehandelt haben."
Aufschluss darüber gaben auch Zeugen, die damals von den belgischen Behörden befragt wurden. "Was auch viel an dem Bestand ausmacht ist, dass eben die belgischen Behörden rumgefragt haben: Wer weiß was über den, und dass sie daraus ihre Dossiers zusammengestellt haben. Zum Beispiel ehemalige KZ-Häftlinge. Besonders prominent war ein Fall, in dem der ehemalige Kelmiser Bürgermeister Peter Kofferschläger Auskunft gegeben hat."
Bei ihren Zeugenvernehmungen haben die belgischen Behörden versucht zu überprüfen, wie glaubwürdig die einzelne Aussagen waren. Nicht immer konnte dies eindeutig geklärt werden. "Man muss berücksichtigen: Gerade die KZ-Haft war eine Zeit, die viele Betroffene schnell vergessen wollten. Es war eine fürchterliche Zeit für sie", erklärt Williams. "Behörden haben sich für die glaubwürdigste Version entschieden. Vor allem, wenn es um Ansprüche geht."
Es waren besonders mutige Menschen, die mit dem Leben bezahlt haben. So wie Josephine Lejeune aus Theux, die in Mauthausen erschossen wurde, weil sie - völlig entkräftet nach dem Transport in einem Viehwaggon - den Fußweg vom Bahnhof zum Lager nicht schaffte. "Sie hat Kämpfer versteckt. Sie war eine einfach Frau und hat aus menschlichem Anstand gehandelt. Es ist sehr traurig, wie sie ums Leben gekommen ist, dass die SSler sie sinnlos erschossen haben."
Neben Joséphine Lejeune sind Kriegsschicksale von sechs Männern in der Broschüre "Gerettete Erinnerung" aufgeführt: Gérard Schreiber, Hubert Keutiens, Joseph Goffinet, Nikolaus Schaus, Peter Kerren und Odilon Wilkin. Ihre Nachfahren konnten die Historiker bisher nicht ausfindig machen. Sollten sich aber welche durch die Broschüre finden, sind sie eingeladen, Kontakt mit dem Zentrum für Ostbelgische Geschichte oder dem Staatsarchiv aufzunehmen. Dort ist das Heft "Gerettete Erinnerung" auch erhältlich - ebenso wie im ZVS-Museum in St. Vith und am Standort der Wanderausstellung "Stolen Memory" ab Freitag in der Eupener Bergstraße.
"Stolen Memory": Ausstellung in St. Vith zu gestohlenen Objekten von NS-Opfern
Michaela Brück