Im Volksmund ist schon mal locker von Reiterhosen die Rede, die oft als ernährungsbedingtes Fett abgetan werden. Dahinter steckt aber ein komplexes Syndrom, das seit dem 1. Januar 2017 von der WHO als Krankheit anerkannt ist, so Dr. Falk-Christian Heck, Lipödem-Spezialist und Leiter einer Privatklinik. "Es handelt sich um eine Fettgewebs-Verteilungsstörung an Armen und Beinen, auch am Gesäß. Wir vermuten die Wirkung körpereigener Hormone. Deswegen tritt sie oft auch in der Pubertät auf und verschlechtert sich in der Schwangerschaft. Es kommt zu Stauungs- und Druckschmerzen, Berührungsempfindlichkeiten, zu müden und schweren Beinen."
Von diesen Beschwerden berichten auch Frauen in Ostbelgien. Ariane Ledieu leidet seit der Pubertät unter Lipödemen. In den letzten Jahren hätten die Schmerzen immer mehr zugenommen, schildert die 42-Jährige. "Man merkt das, wenn man spazieren geht. Man kommt Berge nicht mehr rauf. Alles ist schwer und drückend."
Ob es sich wirklich um ein Lipödem handelt, kann nur durch Ausschlussdiagnose festgestellt werden. Neben den Schmerzen gibt es noch andere Hinweise auf die Krankheit, schildert Dr. Falk-Christian Heck. "Wenn die Beine konturlos werden. Ein Extrem ist das Säulenbein: Die Fettgewebsausprägung geht dann genau bis zu den Knöcheln, bildet dann eine Art Muff und darunter hängt ein schlankes Füßchen."
Allein schon eine Diagnose zu erhalten und eine Anerkennung des Leidens als Krankheit, war für Ariane Ledieu der erste Schritt auf dem Weg zu einer möglichen Heilung. "Man läuft von Arzt zu Arzt und merkt: irgendetwas stimmt nicht, weil man immer Schmerzen hat. Wenn man endlich eine Bestätigung vom Arzt bekommt: Ja, das ist ein Lipödem. Das ist nicht mit dem Essen verbunden. Sie können nichts dafür. Dann fühlt man sich verstanden."
Eine ähnliche Erfahrung hat auch Anja Géron gemacht. Die 33-jährige Kelmiserin blickt zurück. "Angefangen hat es damit, dass meine Nachbarin meinte: Geh doch mal zum Arzt. Meine Knöchel waren nicht mehr zu sehen. Erst hieß es: das ist ein Lymphödem, also Wasser in den Beinen. Dann wurde es immer mehr. Nach der Geburt meiner Kinder nahmen auch die Schmerzen zu."
2015 erhielt Anja Géron die Diagnose Lipödem. Nach klassischen Therapieversuchen mit Kompressionsstrümpfen und Lymphdrainage sollte es noch drei Jahre dauern, bis sie die für sie richtige Behandlung fand. "Ich habe weiter Ärzte gesucht und Druck gemacht. Aber auch durch Kompression und Lymphdrainage wurden die Schmerzen nicht besser."
Weil sie in Belgien keine überzeugenden Behandlungsmöglichkeiten fanden und OP-Kosten hier auch nicht erstattet werden, weil das Leiden in Belgien nicht als Krankheit anerkannt ist, entschlossen sich die Ostbelgierinnen zu einer Operation in einer deutschen Privatklink. Die dort durchgeführte Wasserstrahl-assistierte Liposuktion ist eine Methode des Fettabsaugens, die angeboten wird. Der Klinikgründer verweist auf 20 Jahre Erfahrung, betont aber, dass eine OP nie der erste und einzige Schritt sein dürfe.
Begleitend gebe es klassische Kompressionsbehandlungen sowie Empfehlungen zu Ernährung und Bewegung. Denn Fettleibigkeit, Adipositas, sei zwar nicht Ursache, aber häufig Folge der Erkrankung. "Wer Bewegungsschmerzen hat schon als Kind, ist sportlich nicht so aktiv wie er vielleicht sein sollte, und dann baut sich noch eine Adipositas auf. Das muss man trennen", so Dr. med. Falk-Christian Heck.
Ariane Ledieu hat sich auf die Behandlung eingelassen. Rund 20.000 Euro hat sie auf den Tisch legen müssen. Bereut hat sie es nicht. "Ich bin mit den Beinen durch. Ich habe schon mal Höhen und Tiefen, aber nicht wie am Anfang vor den OPs. Jetzt im April sind die Arme dran. Wenn das so klappt wie mit den Beinen bin ich sehr zufrieden."
So wie Anja Géron. Sie erklärt, nach vier Operationen schmerz- und symptomfrei zu sein. Trotzdem lässt das Thema sie nicht los. "Es gibt viele Frauen, denen es nicht gut geht. Die Ärzte und Krankenkassen unterstützen das nicht. Das kann so nicht weitergehen. Allein das ist die Motivation, weiter zu kämpfen."
Dafür hat Anja Géron die Facebook-Gruppe der "Lipödem-Kämpferinnen Ostbelgien" ins Leben gerufen. Mittlerweile haben sich ihr fast 100 Betroffene angeschlossen. Sie wünschen sich nicht nur eine medizinische Anerkennung, sondern auch eine gesellschaftliche Akzeptanz ihres Leidens.
Michaela Brück