Es sei an der Zeit gewesen, die Erfahrungen der verschiedenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hervorzuheben, betont Manfred Kohnen, Direktor von Kaleido. Das Resultat: ein 13-seitiger Bericht. Kurz aber nicht vollständig zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Zerbrechlichen während der Krise noch zerbrechlicher geworden sind: "Wir wissen natürlich, dass es Teile der Gesellschaft gibt, die wirklich zu kämpfen haben. Die keine so guten Strukturen haben, wo Existenzängste vorhanden sind. Wo es in der Familie vielleicht vorher schon Probleme gab. Wo es Probleme der Integration in der Gesellschaft gab. Wo es Vorerkrankungen oder Vorauffälligkeiten, Alkoholismus, und so weiter gab. All diese Probleme wurden und werden durch Corona einfach nur verschärft."
Doch auch Menschen, die vor der Krise keine Schwierigkeiten hatten, sind nun betroffen. Manch anderer profitiert gar von den neuen Umständen. Das Bild, das sich in Ostbelgien zeichnet, ist gemischt. Dementsprechend sieht Kaleido vor allem eine Hauptaufgabe: "Wir möchten damit einen Diskussionsbeitrag leisten. Wir möchten das Thema weiter auf die Tagesordnung setzen. Wir möchten eine gesellschaftliche Debatte anstoßen. Wir möchten ganz einfach, dass man zusammen, das kann auch kein Akteur alleine, hier sitzen wir alle im selben Boot, die Akteure, die Gesamtgesellschaft - dass wir uns aber wirklich diesem Aspekt stärker widmen, wohl wissend, dass es hier keine Zauberlösungen gibt."
Jetzt gehe es darum, entstandene psychosoziale Schäden abzufedern und sich bestmöglich vorzubereiten. Dementsprechend zeigt Kaleido mit seinem Bericht, der der Regierung, dem Ministerium sowie den Schulen zugestellt wurde, auch Missstände auf: "Ist der ganze Bereich der psychischen Gesundheit, der mentalen Gesundheit nicht unterfinanziert, beziehungsweise gibt es nicht eine Schieflage? Und wir beantworten diese Frage eindeutig mit Ja. Dass im 21. Jahrhundert die körperliche und die geistige Gesundheit nicht auf einer selben Ebene gefahren, abgewickelt, gesehen und unterstützt wird, ist eigentlich nicht hinnehmbar, ist eigentlich sogar ein Skandal", findet Manfred Kohnen.
Auch den Schulen widmet Kaleido sich. Hier möchte das Zentrum neue "Denkpisten" liefern. Es soll differenziert auf die verschiedenen Situationen reagiert werden, erklärt Manfred Kohnen: "Ich denke da persönlich zum Beispiel an ein Thema wie Tutoring wie es im angelsächsischen Raum heißt. Nachhilfe oder Stützkurse hieß es mal hier. Ist leider hier in Ostbelgien ein bisschen verpönt worden, ist aber wissenschaftlich erwiesen, dass es eine der allerbesten Methoden ist, um Rückstände aufzufangen. Also Schüler raus nehmen, eins zu eins oder höchstens in kleinen Gruppen, ist erwiesenermaßen eine hervorragende Methode, um Schüler zu fördern."
Auch kurzfristig das Problem angehen
Mittel- bis langfristig sind die von Kaleido gezeichneten Lösungsansätze. Doch auch kurzfristig müsse das Problem angegangen werden. Doris Falkenberg, Leiterin der Servicestellen im Norden, sieht vor allem eine Hauptaufgabe: "Psychische Erkrankungen oder Auffälligkeiten werden sehr oft tabuisiert. Wir merken sehr stark dass das bei Jugendlichen ein totales Makel ist. Und dass jemand, der zum Beispiel depressive Verstimmungen hat, darüber nicht spricht."
Es müsse geredet und angesprochen werden. Enttabuisierung und Entstigmatisierung seien dabei die Ziele. Das fordert auch Aurélie Hanuschk, Leiterin der Servicestellen im Süden: "Dieses Gleichgewicht finden zwischen über die Sachen reden und auch nicht zu viel reden. Die Kinder, meistens wenn sie Hilfe brauchen, dann fragen sie auch. Aber die Erwachsenen haben manchmal die Tendenz zu viel zu reden. Und dann mehr Ängste bei den Kinder zu bringen. Reden ist eine wichtige Sache. Beobachten, bei den Kindern, Jugendlichen, bei seinem Partner. Auch Hilfe für sich suchen können. Das ist auch wichtig als Eltern, wenn man sich zum Beispiel nicht wohlfühlt, ist es auch schwierig seine Familie zu unterstützen. Man sollte nicht Angst haben, Hilfe zu suchen."
Die Probleme sind vielfältig. Die Lösungsansätze sind es ebenfalls. Damit die richtigen Lösungen auf die richtigen Probleme treffen, möchte Kaleido das Thema psychosoziales Wohlbefinden fest in der Tagesordnung verankern.
Andreas Lejeune