Sie spreche lieber von "Verschwörungserzählung", sagt Pia Lamberty, die unter anderem auch Literatur und Philosophie an der RWTH Aachen studiert hat. Später entschied sie sich für die Psychologie. Seit 2016 ist sie Doktorandin an der Johannes Gutenberg Universität in Mainz, wo sie sich wissenschaftlich mit solchen Verschwörungserzählungen auseinandersetzt. Und mit ihrer Rolle bei Radikalisierungsprozessen.
"Hier sind verschiedene Faktoren relevant: Erstmal geht man bei einer Verschwörungserzählung davon aus, dass es Gruppen oder Personen gibt, die als mächtig wahrgenommen werden, die im Geheimen einen Plan haben, die Welt zu zerstören oder ihr zu schaden."
Eine Frage der Wahrnehmung
Vor allem der Aspekt der Wahrnehmung sei wichtig, sagt Pia Lamberty: "Nicht jede Gruppe, der Macht unterstellt wird, ist auch tatsächlich mächtig."
Verschwörungstheorien oder -erzählungen habe es "eigentlich schon immer" gegeben: "Als in Europa die Pest wütete, hieß es, dass Juden die Brunnen vergiften. Das zieht sich so durch: Menschen versuchen, sich Geschehnisse zu erklären, suchen Sündenböcke, auf die sie das projizieren können. Da sind wir schnell beim Verschwörungsmythos."
Misstrauen gegen "die da oben"
Stellt sich die Frage, warum Menschen daran glauben, auch wenn diese Erzählungen abstrus klingen oder sich Ankündigungen als unwahr herausstellen. Die Sozialpsychologin spricht hier von Verschwörungsmentalität: "Das ist die generelle Tendenz, an Verschwörung zu glauben. Wir alle bewegen uns irgendwo auf dieser Skala. Es ist nicht so: entweder man glaubt daran oder nicht."
Vielmehr gebe es Menschen, die eine starke Verschwörungsmentalität haben: "Sie sind misstrauisch gegenüber allen, die als mächtig wahrgenommen werden. Das können die Medien sein, die Wissenschaft, die Politik, aber auch soziale Gruppen. Es wird von vorneherein davon ausgegangen, dass 'die da oben' nur Böses im Schilde führen können."
Glaube an ein Geheimwissen
Ausgehend davon gebe es zwei Haupterklärungen dafür, dass Menschen an Verschwörung glauben: "Das eine ist der Kontrollverlust, eine Situation, in der man nicht weiß, was als nächstes passiert, die man nicht beeinflussen kann, wie zum Beispiel jetzt die Pandemie." Dann sähen Menschen auch Muster, wo keine sind.
"Die andere Erklärung ist, dass man sich durch den Verschwörungsglauben selber überhöhen kann. Man verfügt über eine Art Geheimwissen, ähnlich wie in der Esoterik. Die anderen sehen das nicht, das sind nach dieser Logik 'Systemlinge', 'Schlafschafe' oder sie werden als Teil dieser Verschwörung markiert."
Das habe auch etwas mit der eigenen Identität zu tun und mit Sinngebung. "Da geht es nicht darum, dass diese Menschen nicht in der Lage sind, Fakten zu verstehen, und man ihnen nur die richtigen Fakten vorlegen müsste, sondern es geht wirklich um die eigene Person, um die Identität."
Gefahren im Blick haben
Das Phänomen werde inzwischen ernster genommen, sagt Pia Lamberty, "aber vielleicht immer noch nicht ernst genug. Es gibt zum Beispiel Gefahren im Gesundheitsbereich: Wenn jemand an eine Impfverschwörung glaubt, wird er sein Kind nicht impfen lassen. Das hat dann aber nicht nur Folgen für das eine Kind, sondern mit Blick auf die sogenannte Herdenimmunität auch für diejenigen, die sich nicht impfen lassen können."
Außerdem hätten verschiedenste Studien gezeigt, dass der Glaube an Verschwörungen mit einer größeren Demokratiefeindlichkeit einhergeht. "In unseren Studien war es so für Deutschland, dass ein Viertel derer, die eine starke Verschwörungsmentalität haben, sagen, dass sie auch Gewalt einsetzen würden", stellt Pia Lamberty fest.
Viele Verschwörungserzählungen seien antisemitisch oder anschlussfähig für antisemitische Welterklärungsmodelle: "Das sind Gefahren, die man im Blick haben muss. Ich würde sagen, dass der Glaube an Verschwörung auch ein Radikalisierungsbeschleuniger sein kann. Dadurch, dass man das absolut Böse kreiert, das die Welt angeblich zerstören will, kann man sich als das absolut Gute aufwerten und damit auch alles rechtfertigen: Sei es der Sturm auf den Bundestag (wie bei der Demo in Berlin am 29. August, AdR) oder Gewalttaten."
Ignorieren oder reagieren?
In den Social Media, in denen solche Verschwörungserzählungen stark verbreitet sind, sei es schwer, dem Phänomen beizukommen. "Man sollte nicht davon ausgehen, dass man eine fremde Person in den Sozialen Medien überzeugen kann", sagt die Sozialpsychologin, "manchmal funktioniert es, ganz oft aber eben nicht."
Mit Blick auf die "stillen Mitleser" könne es jedoch nützlich sein, "gegenzuhalten", darauf hinzuweisen, wenn ein Medium oft Fehlinformationen verbreite oder antisemitisch und rassistisch einzuordnen sei. "Gerade wenn die Verschwörungserzählung menschenfeindliche Inhalte transportiert, finde ich Gegenrede wichtig", unterstreicht Pia Lamberty. "Aber man muss sich schon klar machen, dass die Einflussnahme da begrenzt ist."
Stephan Pesch
Und auch für diesen wichtigen Beitrag, vielen lieben Dank!
Das größte Problem besteht darin, überhaupt Verschwörungstheorien zu erkennen. Was zuerst klar nach Verschwörungstheorie aussieht muss nicht unbedingt eine sein. Manches hat sich auch bewahrheitet. Bei jeder einzelnen Theorie muss man sehr genaue Nachforschungen anstellen, um wirklich sicher zu sein.
Es gehört zu den Merkwürdigkeiten unserer modernen aufgeklärten Epoche, dass eine stetig wachsende Zahl von Menschen bereit ist, unhinterfragt den größten Schwachsinn zu glauben.
Dann die einfache Frage.
Wer glaubt das das Virus aus dem Labor in Wuhan entwichen ist.
Ein Mitarbeiter könnte ja unbemerkt infiziert gewesen sein und hat das Virus verbreitet.
Wer glaubt das das Virus durch verzehrte Tierteile auf den Menschen übertragen wurde.
Wer weiss die Wahrheit...
Werter Herr Jusczyk.
Das war aber schon immer so.
Die persönliche Überzeugung ist nicht abhängig vom Informiertsein. Das beste Beispiel dafür sind Religionen. Obwohl es keinen wissenschaftlichen Beweis für die Existenz Gottes gibt, glauben viele Menschen an einen Gott. Mit dem Jenseits ist es das gleiche. Viele Menschen sind überzeugt von einem Leben nach dem Tod. Einen Beweis dafür gibt es nicht. Es ist noch keiner von da zurückgekommen, um die Existenz des Jenseits zu bestätigen.
Das ist allerdings ein wichtiger Beitrag. Endlich klärt der BRF nicht mehr nur darüber auf, wie schön es in Ostbelgien ist, wie doof das Einkaufen im Ausland und dass Ingrids Schwager Corona hat, sondern auch darüber, dass die Mächtigen entweder nicht wirklich mächtig sind oder wenn doch, sie immer wohlmeinend sind, so wie der Sympathiebolzen Van Ranst, das Pannen-Institut Sciensano mit seiner kreativen Zählweise oder Kajak-Sophie. Wir erfahren auch, dass zum Beispiel Menschen, die der Pharmaindustrie skeptisch gegenüber stehen, sich gefälligst in der Schublade zu verkriechen haben, auf der "Demokratiefeind" und "Antisemit" steht. Zum Glück gibt es Profis wie Pia, die das alles mal ins rechte (ja, rechte) Licht rücken.
Und nun lassen Sie bestimmt bald zum Beispiel den Epidemiologen Yves Coppieters als Gegengewicht zu Wort kommen? Oder reicht es da, wenn Herr Pesch versucht, zwei Berlin-Reisende in die braune Schmuddelecke zu drängen?
Sehr geehrter Herr Karthäuser,
es ist natürlich jedem freigestellt, sich nicht mit wissenschaftlichen Argumenten zu befassen.
Ich muss allerdings klarstellen, dass ich in dem Gespräch mit zwei Vertretern der Gruppe Ostbelgier, die an der Kundgebung in Berlin teilgenommen haben, zu keinem Moment versucht habe, die beiden Gesprächspartner "in die braune Schmuddelecke zu drängen". Vielleicht hören Sie sich das Gespräch ja mal etwas gründlicher an.
Gegen Verschwörungstheorien hilft nur ehrliche Politik von ehrlichen Politikern. Glaubwürdigkeit ist das A und O.
Herr Karthäuser, niemand wird in irgend eine Ecke gedrängt, das haben diese Ostbelgier ganz alleine geschafft, sich ins rechtsextreme Abseits zu stellen. Ich weiß nicht wie es Ihnen geht, aber mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken, wenn ich lese, dass Landsleute zusammen mit Nazis demonstrieren gehen...
Sehr geehrter Herr Pesch,
Recht haben Sie. Es steht jedem frei, die regelmäßigen Veröffentlichungen des Instituts Sciensano, des RKI oder US-Gesundheitsbehörde zu lesen und den naturwissenschaftlichen Ansatz anstatt des sozialwissenschaftlichen zu wählen. Allerdings nimmt das Zeit in Anspruch, die wohl nicht jeder gewillt ist, zu investieren. Da ist es doch einfacher, jeden Kritiker der staatlichen Maßnahmen in ein und dieselbe Schublade zu stecken, irgendwo zwischen bemitleidenswertem Spinner und Nazi.
Wenn ich Ihre Worte im Interview mit den Herren Schmitz und Leuther, die Frau Grooteman veranlassten, einzuschreiten, denn missinterpretiert haben sollte, dann bitte ich Sie um Entschuldigung.
Vielen Dank für Ihre E-Mails ebenso wie für Ihren konsequenten Einsatz für die Meinungsfreiheit.
Was ist eine "Verschwörungstheorie"? Es ist nichts anderes als eine VERMUTUNG, dass hinter einem gesellschaftlichen Geschehen ein 'Klüngel' steckt.
Wenn manche Menschen glauben wollen, dass kein Astronaut auf dem Mond war oder dass die Türme des World Trade Center in die Luft gesprengt wurden, ja dann sollen sie das doch glauben. Ich halte das auch für unrealistisch, aber was soll's.
Oder wenn jemand glaubt, dass John F. Kennedy nicht nur von Lee Harvey Oswald ermordet wurde... oh, also diese Verschwörungstheorie ist erlaubt? hm...🤔🤔🤔Der Mord an Kennedy ist also die einzig erlaubte Verschwörungstheorie, und warum nur diese? Es muss wohl eine Verschwörung dahinter stecken, dass nur die erlaubt ist...😉😉😉
In einer Demokratie inkl. Pluralismus ist es absolut NORMAL ZU HINTERFRAGEN. dass manchmal seltsame Fragestellungen und Antworten auftauchen, ist normal.
Aber in der Politik ist es so wie in der Wissenschaft: Es gibt keine dummen Fragen, es gibt nur dumme Antworten.
Herr Scholzen, es geht nicht darum, Glaubensinhalte wissenschaftlich beweisen zu wollen, allerdings sollten Erstere einer kritischen Rückfrage durch die Vernunft standhalten können (freilich in dem Bewusstsein, dass wir nicht alles begreifen können, dass also unserer Vernunft Grenzen gesetzt sind).
Meines Erachtens ist es keineswegs unvernünftig, an einen personalen Gott und das ewige Leben zu glauben (ich selbst glaube an beides); jedoch einem Verschwörungsmythos wie bspw. Q-Anon oder der Reichbürgerideologie anzuhängen, ist deshalb problematisch, weil man gar nicht groß in die Tiefe gehen muss, um zu erkennen, dass es sich dabei um groben Unfug handelt.
Ob dies schon immer in solchem Umfang der Fall war, vermag ich nicht zu beurteilen, allerdings finde ich das Ergebnis einer von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie, wonach ein Drittel der deutschen Bundesbürger einen Hang zu Verschwörungstheorien hat, für problematisch.
Es wäre einmal interessant, zu untersuchen, ob Personen aus einem säkularen Milieu besonders für derartige Verschwörungserzählungen anfällig sind.