Sie haben zusammen Geschichte niedergeschrieben: Lily Pierry, heute 92, und ihr Enkel Ronald. "Einerseits bin ich stolz, andererseits schäme ich mich ein bisschen, weil die Leute in der Stadt mir und meinem Enkel auf offener Straße gratulieren", sagt Lily Pierry.
Ihrer Geschichte schämt sich Lily nicht. Sie wuchs in einer Stadt auf, in der es vor dem Krieg normal war, dass Deutsch gesprochen wurde. Ihre Mutter Elisabeth etwa fand neben dem Spielwarengeschäft und der Familie keine Zeit, um Französisch zu lernen. Ihr Vater August sprach vorzugsweise wallonisch. "Überhaupt sprachen in Malmedy viele Deutsch. Das fiel gar nicht auf. Aber als ich nach dem Krieg zurückkam, schrie eine, die mit mir in der Schule war: 'Heil Hitler, Lily'".
Lilys Enkel, Ronald Goffart, der bei Herve lebt, wollte wissen, warum die einen so, die anderen so reagierten und wie es soweit kommen konnte. "Es ist ja unglaublich, was eine einzelne Person, aber auch eine Stadt in jener Zeit durchgemacht haben und die Leute verstehen das nicht", sagt Goffart.
Darum erzählt Ronald Goffart aus den Erinnerungen der Großmutter die Familiengeschichte von Lily, ihrer deutschen Mutter, ihres wallonischen Vaters, des Bruders vor dem Hintergrund der Kriegsgeschehnisse. "Auf Französisch heißt das: 'La petite histoire dans la grande'. Deshalb habe ich auch auf Dokumente zurückgegriffen, um das zu erklären: Wie das Bild vom Albertplatz, damals Adolf-Hitler-Platz, mit all den nationalsozialistischen Fahnen."
Erzählt wird von Lilys Heimweh während des Landjahr-Mädchenlagers; wie erschüttert sie war, als sie in Aachen zum ersten Mal mit sichtbaren Kriegsfolgen konfrontiert wurde; der plötzliche Aufbruch der Familie zu Verwandten nach Deutschland, aufgeschreckt durch die Propoganda. "Man hatte ja niemals einen Schwarzen gesehen, man hatte uns Angst gemacht. Die einen sagten: Die Amerikaner sind schon da. Die anderen sagten: Sie stehen kurz vor Malmedy. Das war ein Durcheinander, man fand sich überhaupt nicht zurecht", erinnert sich Lily Pierry.
Aus der Ferne erfahren Lily und ihre Familie, wie Malmedy und ihr Zuhause zerstört werden. Die 92-Jährige erzählt von einer dunklen Vorahnung ihrer Mutter im Traum: "Wochen vorher sagte sie mir, sie habe geträumt, dass Malmedy in Brand steht."
Zurück in der Heimat war die Familie Pierry alles andere als willkommen. "Nach dem Krieg war es noch ziemlich gehässig, muss ich sagen. Das hat sich mit der Zeit gelegt."
Wie viele andere Frauen nimmt Lily die Dinge in die Hand, kümmert sich um die Eltern und den Bruder, führt später das Geschäft ihrer Mutter weiter. Ihr Leben wird sie in dieser Ausführlichkeit erst ihrem Enkel erzählen. Und durch das Buch allen, die sich für eine differenzierte Aufarbeitung der Geschichte interessieren.
Und mit der Weisheit des Erlebten hütet sie sich davor, jungen Leuten einen Rat erteilen zu wollen: "Das kann man nicht. Jeder muss selber entscheiden, was er tut." Aber vielleicht kann er aus persönlichen Geschichten wie der von Lily lernen.
Das Buch ist im Verlag Jourdan erschienen. Weitere Informationen sind auch unter www.lily-malmedy.eu zu finden.
Stephan Pesch