100 Jahre Geschichte - verdichtet auf 100 Minuten. Im Mittelpunkt stehen die Menschen eines Landstrichs, der durch zwei Weltkriege und Staatenwechsel geprägt wurde. Kein leichter Stoff, aber fürs Publikum mit Sicherheit nicht langweilig.
Regisseur Carlo Lejeune basierte das multimediale Bühnenstück ausschließlich auf historische Quellen. "Der Krieg war etwas, das im Grunde alle Europäer erlebt hatten. Von daher ist das nichts typisch Ostbelgisches", sagt Lejeune, "aber diese Zerrissenheit war schon etwas Spezifisches. Wir haben heute das Glück, dass wir in anderen Zeiten leben, die uns dadurch aber die Verantwortung auferlegen, dass wir uns auch weiterhin dafür einsetzen sollten. Vielleicht ist das eine der Botschaften, aber das müssen die Zuschauer selber entscheiden."
"Es lebe das Vaterland! Was für ein Theater" ist eine Aneinanderreihung von Stimmungsbildern aus 100 Jahren ostbelgischer Geschichte - vor allem schlechter Stimmung. Ständiger Begleitton ist pro-belgischer und pro-deutscher Nationalismus.
Interessant ist der Mix aus Eindrücken. Mal wird im Brüsseler Parlament lebhaft um Ostbelgien gestritten, mal kommen Lehrer und Schüler im Unterricht zu Wort. Dann berichtet ein Unternehmer, welche schweren Konsequenzen der Staatenwechsel für ihn hat.
Nationalismus
"Ich glaube, dass die Frage, was diese 100 Jahre wirklich geprägt hat, einfach zu beantworten ist", meint Lejeune. "Das war der Nationalismus und sogar ein übersteigerter Nationalismus. Dieser Nationalismus hat eine ganze Fülle von Menschenbildern geschaffen oder ermöglicht. Das ist eigentlich der rote Faden des Stücks, der zeigt, was passiert, wenn man diesem Konzept, das heute leider Gottes wieder sehr aktuell ist, verfällt."
Ein Krieg mag irgendwann beendet sein. In den Herzen so mancher Familie lebte er oft lange weiter.
Und heute - so rufen die Schauspieler uns zu - wird dieser Krieg in den sozialen Netzwerken fortgeführt: "Ich glaube, dass das Stück eine ganze Fülle von Elementen hat, die heute von einer erschreckenden Aktualität sind. Aber so ein Stück ist wie ein Kunstwerk. Es wird geschrieben, es wird aufgeführt und es ist am Zuschauer, es aufzunehmen, es zu interpretieren. Das ist nicht meine Aufgabe", so Lejeune.
Die Föderalisierung Belgiens zeichnete auch den Weg Ostbelgiens. Im Stück "Es lebe das Vaterland! Was für ein Theater" spielt die Entwicklung der Deutschsprachigen Gemeinschaft nur eine kleine Rolle.
Blick in die Zukunft
Und was bleibt? Die Schauspieler stellen zum Ende der Aufführung eine Frage. 'Für welches Menschenbild willst du dich einsetzen?' Sie antworten selber. Ihre Antworten sind diesmal aber keine Zitate, sondern persönliche Wünsche. "Wir haben zum Schluss versucht, ein Bild zu zeichnen, wo die Schauspieler ihre Meinung gesagt haben. Das hatte nichts mit dem Regisseur zu tun. Ich glaube, dass dieses bunte Bild das Stück erst richtig rund gemacht hat, weil es in die Zukunft weist. Und das ist, was wir brauchen", ist Lejeune überzeugt.
Dem Publikum hat es jedenfalls hörbar gefallen.
Manuel Zimmermann
Eine beeindruckende Aufführung. Leider kaum junge Menschen im Publikum.
Eine wichtige Arbeit für unsere Gemeinschaft, genauso wie die Bücher von Carlo Lejeune. Ihm , allen Darstellern und Mitwirkenden vielen Dank.