Man könne bei der Zeitspanne zwischen 1919 und 1945 schnell bei der klassischen Politikgeschichte landen, aber das sei nicht das Ziel der Autoren, stellen die Herausgeber von Band 4 der Publikationsreihe "Grenzerfahrungen" klar.
"Unser Ziel ist, das Gebiet als Zwischenraum zu verstehen - zwischen Belgien und Deutschland: Ein Gebiet mit einer eigenen Dynamik und einer eigenen historischen Erfahrung", so Christoph Brüll.
Der Band zeigt natürlich die Brüche in den Jahren 1920, 1940, 1944, 1945. "Aber wir zeigen eben auch gezielt Kontinuitäten, die über die Brüche hinaus bestehen."
Neben den mehr oder weniger offensichtlichen Brüchen in den Schlüsseljahren, gibt es auch überraschende Themen, wie zum Beispiel die Geschichte des Kinos in der Region. Das erlaubt den Autoren, mentalitätsgeschichtliche Aufschlüsse zu ziehen.
Thema im Buch ist auch das Konzept des "situativen Opportunismus", wie Carlo Lejeune erklärt: "Opportunismus bedeutet in der Regel, sein Fähnlein nach dem Wind hängen. Situativer Opportunismus beschreibt, dass jeder Mensch im Alltag vor einer Fülle von Entscheidungen steht. Also dass es keine fest gefügten Verhaltensweisen nach Vorgaben von polarisierten Gruppen, wie beispielsweise Pro-Deutsche und Pro-Belgier gibt. Das gilt für damals sowie heute."
Co-Herausgeber Peter Quadflieg sieht die Zeitspanne von 1919 bis 1945 als Schlüsselepoche: "Die Zeit legt den Grundstein dafür, dass es überhaupt deutschsprachige Belgier gibt", so Quadflieg. "Aber auch, dass die Deutschsprachigen in Belgien heutzutage über eine weitreichende Autonomie verfügen."
Feststeht, dass in Zukunft auch noch ein sechster Band - über die Zeit ab 1974 - kommen muss, wie Christoph Brüll findet. "Diese Geschichte ist noch kaum geschrieben und wir freuen uns, diese irgendwann in Angriff zu nehmen", verkündet Brüll. Doch die nächsten zwei Jahre werden noch geprägt sein von der Thematik "100 Jahre Zugehörigkeit zu Belgien". "Dazu gehört auch der Versuch des Vereins für ostbelgische Geschichte, das Thema nicht nur in Buchform oder klassischer historischer Vermittlung zu überliefern, sondern auch neue Formate zu schaffen. Das heißt zum Beispiel Theaterstücke oder ein geplantes Radio Feature. Also wir wollen das, was wir herausfinden, noch näher an die Leute heranbringen", so das Fazit von Christoph Brüll.
Stephan Pesch