Auf der obersten Etage des imposanten Backsteingebäudes am Boulevard de la Constitution in Outremeuse wuseln zwanglos junge Leute zwischen zweidimensionalen Plänen von Gebäuden an den Wänden und 3-D-Modellen von ganzen Dörfern auf den großflächigen Tischen. Sie studieren an der Fakultät für Architektur der Universität Lüttich und treffen sich hier zweimal die Woche zum Atelier Ruralité, frei übersetzt: zum Workshop Ländlichkeit.
Mit ihrer praxisorientierten Arbeit sind sie Teil des Leader-Projektes "Neues Leben für unsere Dörfer", das von der Wirtschaftsförderungsgesellschaft begleitet wird. Neben den 39 Studenten aus Lütticher sind auch 14 Studierende vom Lehrstuhl und Institut für Wohnbau und Grundlagen des Entwerfens an der RWTH Aachen daran beteiligt.
Deren Kurs endet Mitte August, während die Lütticher ihre Arbeiten schon in diesen Tagen präsentieren und verteidigen müssen, wie Anna Niessen aus Bütgenbach-Berg: "Mein Projekt ist in Wallerode. Ich befinde mich mitten im Dorfkern, an der Kirche. Wir haben zuerst einen Masterplan entwickelt, ein Schema für das ganze Dorf. Uns war wichtig, dass im Zentrum von Wallerode neues Leben entsteht."
Und das zum einen im Sinne eines Treffpunkts, nachdem der örtliche Dorfsaal von anderthalb Jahren geschlossen hatte. Den Lütticher Studenten schwebt aber eine Alternative vor - wie eine Bar, ein Café, oder Säle für die Dorfvereine.
Daneben geht es auch um das tagtägliche Zusammenleben: "Dann komme ich hinzu mit meinem Projekt. Das ist ein Mehrgenerationenwohnen, mit einem kleinen Dorfladen. So wollen wir den Dorfkern wiederbeleben. Dabei muss auf einer Parzelle nicht unbedingt nur ein Haus stehen, um eben nicht verschwenderisch mit Fläche umzugehen. Und gleichzeitig versuchen wir, eine neue Dynamik ins Dorf zu bekommen", erklärt Anna Niessen.
Das Projekt ihrer Kommilitonin Laura Rosen aus Weismes geht von der gleichen Perspektive aus, allerdings führt es mehr in die Richtung seniorengerechtes Wohnen auf gemeinschaftlicher Grundlage. Sie könnte sich vorstellen, dass sich mehrere Bürger und besonders Handwerker zusammentun, um praktisch im Eigenbau ein Projekt zu realisieren, in dem sie etwa ihre Eltern gut versorgt wüssten - mit klar unterschiedenen Wohneinheiten und einem gemeinschaftlich getragenen Bereich.
Ideen für ihre praktische Arbeit haben die Architekturstudierenden Anfang Mai bei einer Fachexkursion in Österreich, im Bundesland Vorarlberg, sammeln können. "Da haben wir gesehen, wie man in alte Gebäude neues Leben bringt, wie man mit speziellen Techniken neu isoliert, damit es dem heutigen Standard entspricht", erklärt Anna Niessen.
Für Laura Rosen waren gerade aber auch die Unterschiede zwischen hier und dort von Interesse. Hierzulande heißt es oft, dass Bauen mit Holz oder gar Lehm und Erde nicht das Wahre sei, wo es doch viel zu viel und häufig regne. Ein Argument, das Laura Rosen so nicht stehen lässt: "Das Klima in Vorarlberg ist nicht so verschieden von unserem. Vielleicht sind wir hier ein bisschen zu konservativ. Man sollte es mal probieren."
Hier könnte der gemeinschaftliche Ansatz weiterbringen, findet die Studentin aus ihrer Erfahrung an einem Beispiel in Vorarlberg: "Die Leute haben sich zusammengetan und haben gesagt: Wir wollen ein Projekt aus Erde und nicht aus Beton. Das war zwar günstiger, aber die Einwohner haben sich für die Alternative entschieden. Ich finde dieses Engagement der Einwohner super." Auch im Sinne der Nachhaltigkeit. Denn wer wisse schon, was in 20, 30, 40 Jahren aus einem Gebäude werde.
Diese tragende Dynamik in der Dorfgemeinschaft war es, was Professor Norbert Nelles, der aus Xhoffraix stammt, seinen Studenten vermitteln wollte, "dass wir also Leute treffen, d.h. was passiert vor dem Projekt, was nach dem Projekt und welche Philosophie steckt dahinter."
In dieser Hinsicht war die Exkursion nach Österreich mehr als ergiebig. Und eine ähnliche Dynamik erhoffen sich Professor Nelles und seine Studentinnen auch in ostbelgischen Dörfern wie Elsenborn, Manderfeld oder Wallerode.
Engagement
"Also was ich persönlich mitgenommen habe, war vor allem das Engagement der Dorfleute an sich. Wir können soviel planen, wie wir wollen, aber wenn das nicht von den Leuten kommt, da etwas in Angriff zu nehmen, wird auch nicht schwer was passieren", sagt Anna Niessen. "Wir müssen durch unsere Arbeiten die Leute im Dorf motivieren: Voilà, das und das ist möglich, das andere ist vielleicht etwas utopisch, aber da steckt eben Potenzial ..."
Die Studentin aus Berg sieht zumindest auf längere Sicht durchaus Chancen für ihr Projekt. "Mein Projekt ist ja vor allem ein Neubau. Das ist schon etwas schwieriger, so etwas zu stemmen. Aber man könnte ja in verschiedenen Phasen arbeiten, weil ich drei Volumen vorsehe, drei Gebäude. Die könnte man in verschiedenen Phasen aufbauen. Und wenn sich da mehrere Leute zusammentun und da gemeinsam investieren, ist das je nachdem möglich."
Klingt erst mal nicht ohne. Für die Abschlussarbeiten der Studierenden war es aber wichtig, anspruchsvolle Projekte einzubringen, sagt Professor Nelles. "Manche Projektvorschläge sind einfach zu klein für eine Abschlussarbeit. Man hat uns beispielsweise gefragt, einen behindertengerechten Zugang zu einem Gebäude zu planen. Das war etwas wenig. Wir müssen für unseren Studienarbeiten ein Gleichgewicht finden zwischen konkret und utopisch."
Und das was auf den ersten Blick weit hergeholt erscheint, stößt bei näherer Prüfung vielleicht auf Interesse. "Es gibt einige Projekte, die aus meiner Sicht sehr konkret sind. Zum Beispiel ein Ausbildungszentrum für Leute, die ihre Gebäude energetisch umbauen wollen. Das könnte für Unternehmer, Privatleute oder für Architekten interessant sein."
Und es muss ja nicht zwangsläufig in einem bestimmten Dorf umgesetzt werden. "Ein anderes Beispiel ist ein Projekt für therapeutisches Reiten in Wallerode. Das könnte genauso gut in Elsenborn oder in Manderfeld angesiedelt sein, aber auch in Amel oder anderswo."
Erst einmal werden jetzt die Abschlussarbeiten der Studenten abgenommen. Das ist schließlich ihr erster Zweck. Im Herbst kann sich dann aber jeder auch ein Bild von den Projekten machen - und davon, wie sie umzusetzen wären. "Ab dem 27. Oktober gibt es in Zusammenarbeit mit der WFG eine Ausstellung, wahrscheinlich in Wallerode. Wir suchen noch den passenden Ort. Da werden dann alle Projekte aus den drei beteiligten Dörfern präsentiert. Das richtet sich aber nicht nur an die Einwohner aus diesen Dörfern, sondern an die ganze Eifel", so Nelles.
Stephan Pesch