So hart es klingt: Nichts und niemand kann Tote wieder lebendig machen oder das unendlich große Leid der Verletzten und Hinterbliebenen ungeschehen machen. Aber das Mindeste, was nach Katastrophen wie der von Buizingen passieren muss, ist eine gründliche Aufarbeitung um Opfern und Angehörigen Antworten zu geben oder es zumindest zu versuchen. Und natürlich vor allem auch, um zu verhindern, dass sich solche Tragödien wiederholen.
Deswegen hatte sich Belgien nach der Zugkatastrophe von Buizingen das Ziel gesetzt, die Sicherheit seines Eisenbahnnetzes deutlich zu erhöhen. Auch vor dem Hintergrund, dass in den Jahren zuvor offenbar nicht genug unternommen worden war in dieser Richtung.
Keine zwei Jahre nach der Kollision in Buizingen wurde deshalb ein sogenannter Masterplan verabschiedet. Dazu gehörten unter anderem eine deutliche Verstärkung der Sicherheitskultur, eine gründliche Überarbeitung von Betriebs- und Sicherheitsverfahren und eine detaillierte Analyse von Zwischenfällen, bei denen Haltesignale überfahren worden waren.
Dazu zwei wichtige technische Neuerungen: einmal die beschleunigte Einführung eines automatischen Bremssystems vor einem Haltesignal. Dieser Prozess konnte bereits 2015 abgeschlossen werden. Zweitens die Einführung eines "European Train Control System" (ETCS), das kompatibel ist mit dem automatischen Bremssystem. Die Installation dieses ETC-Systems ist in Belgien nun offiziell abgeschlossen. Das hat davor nur Luxemburg mit seinem Schienennetz geschafft.
Hier werde Geschichte geschrieben, sagte deshalb Infrabel-Sprecher Frédéric Sacré der RTBF. ETCS gehöre wirklich zum Besten, was in puncto Sicherheit des Schienennetzes verfügbar sei. Und alle entsprechend ausgestatteten Züge könnten das aufgerüstete belgische Streckennetz natürlich nutzen. Das sei besonders für den Frachtverkehr auf der Schiene wichtig.
Das Sicherheitsprinzip sei einfach, erklärt ein Infrabel-Mitarbeiter: Das ETCS überwacht kontinuierlich und in Echtzeit die Geschwindigkeit der Züge. Sobald die erlaubte Geschwindigkeit überschritten wird, wird das erfasst und ein entsprechendes Signal an den Zug geschickt, um ihn automatisch herunterzubremsen. Es ist also eine Art Tempomat für die Schiene, wenn man so möchte, ein "Cruise Control".
Aber es geht natürlich nicht nur um zu hohe Geschwindigkeiten. Wenn der Lokführer ein Haltesignal überfährt, stoppt ihn das System ebenfalls sehr schnell und automatisch - wodurch sehr große Unfälle verhindert werden könnten.
So ein System erfordert natürlich eine entsprechende Infrastruktur. Und selbst bei einem relativ kleinen Land wie Belgien war das fast schon eine Herkulesaufgabe, wie Infrabel-Sprecher Frédéric Petit aufzählt: "Rund 6.400 Kilometer Schienennetz sind nun mit ETCS ausgestattet. Dafür mussten über 48.000 Baken installiert werden und über 650 Antennen, um Signale von den Baken an die Züge zu übertragen. Plus über 11.000 erneuerte Signalanlagen."
Entsprechend groß war auch der Aufwand. Mehr als 1.500 Menschen haben rund zehn Jahre lang daran gearbeitet. Billig war das natürlich nicht: Das Preisschild beträgt etwa 2,8 Milliarden Euro. Aber Sicherheit kostet eben, wie nicht nur Buizingen gelehrt hat.
Abgesehen davon sei es auch eine Investition in die Zukunft, so die Verantwortlichen. Denn dank ETCS gehört Belgien nun zu den am besten ausgerüsteten und sichersten Schienennetzen Europas, was die Position des Landes natürlich nur stärken kann.
Die Züge müssen natürlich ebenfalls mit ETCS ausgestattet sein. Dieser Schritt soll in den kommenden Wochen abgeschlossen werden, zumindest für Züge im Personenverkehr, so SNCB-Sprecher Dimitri Temmerman. Ab Ende 2027 dürfen in Belgien dann sowieso nur noch Züge mit ETCS unterwegs sein.
Boris Schmidt