Es wird wieder verhandelt in der Rue de la Loi. Gerade erst hat die Föderalregierung nach langem Ringen eine Einigung über eine Kapitalertragssteuer erzielen können, jetzt sitzen die Vertreter der fünf Arizona-Parteien wieder zusammen. Auf dem Tisch liegt diesmal das Sommerabkommen mit gleich einer ganzen Latte an zum Teil auch sensiblen Reformen, insbesondere in den Bereichen Arbeitsmarkt und Pensionen.
Erstmal zur Beschäftigung: Bislang hat sich die Regierung ja erstmal mit den Menschen beschäftigt, die nicht arbeiten. Beschlossen hat die Koalition schon die zeitliche Befristung des Arbeitslosengeldes. Enthalten ist die Maßnahme im sogenannten Programmgesetz, das am Donnerstag in der Kammer verabschiedet werden soll.
Diese Reform des Arbeitslosengeldes wird nicht nur Folgen haben für die Betroffenen selbst. Vielmehr wird es so sein, dass viele dieser Menschen, denen das Arbeitslosengeld gestrichen wird, dann bei den Öffentlichen Sozialhilfezentren anklopfen werden. Das wird dort für eine spürbare Mehrbelastung sorgen, sowohl personell als auch finanziell: Die Ämter brauchen mehr Personal, um die neuen Kunden betreuen zu können, und die Zahl der ausgezahlten Integrationseinkommen wird steigen.
Die Regierung hat versprochen, eben diese Folgen für die ÖSHZ abzufedern. Auf dem Tisch lag ein Umschlag mit 234 Millionen Euro, was allerdings als viel zu wenig erachtet wurde, sogar vom Koalitionspartner Les Engagés. Ob es hier schon eine Einigung gegeben hat? Fragezeichen, denn die Regierung musste ihre Verhandlungen unterbrechen, um der letzten Plenarsitzung der Kammer vor der Sommerpause beizuwohnen und insbesondere der letzten Fragestunde.
Premier De Wever blieb da aber im Stoff, denn einige Abgeordnete von den Oppositionsbänken sprachen ihn gleich wieder auf das ominöse Sommerabkommen an. "Ist es normal, dass Sie ein solch großes Paket von wirklich sensiblen Reformen ausgerechnet jetzt vorlegen wollen, wo sich doch nicht nur das Parlament, sondern auch viele Mitbürger in den Urlaub verabschieden?", fragte sich etwa François De Smet von Défi. "Ist eine solche Vorgehensweise wirklich gesund?"
Auch Raoul Hedebouw von der marxistischen PTB wetterte über das Timing der Regierung, aber auch über den Inhalt. "Wir wissen jetzt schon, dass das Abkommen einmal mehr unausgewogen sein wird, dass vor allem die kleinen Leute bestraft werden", schimpfte Hedebouw. Eine Schande sei das, eine mehr. "Die Superreichen müssen nichts bezahlen, wohl aber die arbeitende Klasse, die Rentner, die Arbeitslosen."
Der PS-Abgeordnete Pierre-Yves Dermagne schlug in dieselbe Kerbe. Am Nationalfeiertag am kommenden Montag sei nicht vielen Menschen wirklich auch zum Feiern zumute, sagte Dermagne. "Denn auf dem Programm steht in diesem Jahr ein Feuerwerk an brutalen und ungerechten Maßnahmen". Dermagne und auch Hedebouw, zählten dann auf, was im Moment offensichtlich auf dem Tisch der Regierung liegt. Im Telegrammstil: Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, insbesondere durch die Beschneidung der Prämien für Nachtarbeit, eine Steuerreform, die den meisten Menschen eben nicht die versprochenen 500 Euro zusätzlich bescheren wird, die Einführung eines Pensionsmalus, der die Menschen finanziell bestrafen soll, die vorzeitig in den Ruhestand gehen, und das wird insbesondere Frauen treffen. Und das ist nur ein Auszug. Das alles ist aber wohlgemerkt noch nicht beschlossen.
Steven Coenegrachts von der liberalen OpenVLD griff die Regierung derweil von der anderen Seite an. "Sie zahlen einen hohen Preis an ihre linken Koalitionspartner", wandte sich Coenegrachts an den Premier. "Unterm Strich erheben Sie immer nur neue Steuern. Können Sie uns versichern, dass das jetzt endlich aufhört?"
Wie nicht anders zu erwarten, wollte sich der Premier nicht zum Inhalt äußern. Die Verhandlungen seien schließlich noch nicht abgeschlossen. Aber am Rednerpult sei doch verdammt viel Unsinn erzählt worden: Der eine beklagt sich über Steuer, die anderen unterstellen der Regierung eine neoliberale Politik. "Nun, beides zusammen kann nicht sein", sagte De Wever. "Entweder eins von beiden, oder keins von beiden."
Oder etwas irgendwo in der Mitte? Vielleicht sollte man die Arizona-Partner erstmal landen lassen - wenn es ihnen denn vor dem Nationalfeiertag gelingt. Dann kann man sich immer noch mit dem Inhalt beschäftigen.
Roger Pint