Es ist eine Entscheidung von Innenminister Bernard Quintin und Verteidigungsminister Theo Francken. Die hatten sich am 10. Juni darauf geeinigt, dass die belgischen Atomanlagen ab Dienstag von Soldaten überwacht werden sollen - zumindest fünft von ihnen. Beim Atom-Forschungszentrum in Fleurus soll der Wechsel erst im April kommenden Jahres erfolgen.
Bislang waren die Atomanlagen von einer Spezialeinheit der Föderalpolizei bewacht worden. Diese sogenannte Sicherheitsdirektion DAB war 2018 vom damaligen Innenminister Jan Jambon ins Leben gerufen worden, mit der speziellen Aufgabe, die Atomanlagen zu bewachen.
Jetzt sollen diese Polizisten ihre Kollegen an Brennpunkten im Land entlasten. Die DAB-Polizisten von Tihange zum Beispiel sollen künftig in Brüssel zur Überwachung von Gefangenentransporten oder der Bewachung von Gebäuden eingesetzt werden. Die Polizisten, die das bislang gemacht haben, sollen Kollegen beim Kampf gegen Kriminalität helfen.
Theo Francken war Dienstag zum Stabswechsel nach Tihange gekommen. "Wir haben diese Entscheidung getroffen, um mehr Polizisten in Anderlecht, Molenbeek und in der Innenstadt von Brüssel einsetzen zu können. Dort ist das eine absolute Notwendigkeit. Die Situation in Brüssel ist dramatisch. Ich komme aus Lubbeek, einem Ort in der Nähe von Brüssel, und ich arbeite seit 25 Jahren dort. Die Situation in Brüssel verschlechtert sich von Monat zu Monat" , begründet er den Wechsel
Bei den betroffenen Polizisten und Soldaten stößt die Entscheidung der Politiker auf wenig Gegenliebe. Schon am Tag der Entscheidung, den Wechsel Dienstag zu vollziehen, hatte ein Vertreter der Armeegewerkschaf ACMP seine Bedenken geäußert. "Ich glaube nicht, dass dies die beste Wahl ist", zitierte ihn damals die VRT Die Armee habe doch zurzeit andere Aufgaben und Sorgen - zum Beispiel sich mit neuen Waffensystemen auseinander zu setzen, oder den Ernstfall unter den aktuellen geopolitischen Gegebenheiten noch einmal anders zu üben als bislang. Außerdem gebe es doppelt so viele Polizisten im Land, wie Soldaten.
Bei den Polizisten der Spezialeinheit sorgen andere Gründe für Unzufriedenheit. "Die große Unzufriedenheit rührt vor allem daher, dass viele unserer Leute in der Nähe der Atomanlagen wohnen und sich bewusst dafür entschieden haben, sich dort eine Existenz aufzubauen. Sie sollen jetzt am Justizpalast in Brüssel arbeiten. Dort werden sie nur Tagesschichten machen und müssen immer hin- und herfahren", sagte Eddy Quaino von der sozialistischen Gewerkschaft Dienstag bei der RTBF.
Der neue Einsatzort Brüssel macht sich wegen der dort nur notwendigen Tagesschichten auch im Geldbeutel der Polizisten bemerkbar. Mindestens 500 Euro weniger sollen die DAB-Polizisten laut Gewerkschaften bei ihrer neuen Aufgabe verdienen, weil die besser bezahlten Nachtschichten künftig wegfallen. Die Atomanlagen müssen rund um die Uhr bewacht werden. Gefangene sitzen nachts in der Regel in Gefängnissen.
Auch die Einheiten der Lokalpolizei in den umliegenden Gemeinden der Atomanlagen sind zumeist wenige begeistert von dem aktuellen Wechsel. Denn auf sie wartet jetzt mehr Arbeit. Grund: Soldaten haben bei Weitem nicht die gleichen Befugnisse, wie die bisherigen Wächter der Atomanlagen von der Polizei.
Den Inhalt einer Tasche überprüfen, den Fahrer eines verdächtigen Autos kontrollieren, das Fahrzeug selbst oder einem Piloten das Lenken seiner Drohne verbieten - das alles dürfen Soldaten nicht. Wenn diese Befugnisse aber gefragt sind, müssen künftig immer Lokalpolizisten anrücken. Sie fehlen dann für die Arbeit in den Gemeinden.
Kay Wagner