Der Alltag für die meisten Menschen in Brüssel läuft weiter wie immer - auch ohne neue Regierung in der Region. Doch hinter den Kulissen wächst die Sorge - vor allem bei allen Einrichtungen, die von den Finanzen der Region abhängig sind. Gesundheitsdienste und Vereine, die soziale Dienste leisten zum Beispiel - sie bekommen zurzeit nur einen Bruchteil von dem Geld, mit dem sie sonst arbeiten können. Denn der Haushalt ist immer noch der gleiche wie vor einem Jahr. Brüssel funktioniert zurzeit auf Grundlage von veralteten Zahlen, wodurch auch das Defizit der Region immer weiter wächst. Für Elke Van den Brandt ist das ein Problem. Sie ist die Vorsitzende der flämischen Grünen von Groen. Das ist die Partei, die bei den Wahlen am 9. Juni vergangen Jahres als Sieger unter den flämischen Parteien hervorgegangen war.
Bei den flämischen Parteien hatte es nach den Wahlen Monate gedauert, eine Mehrheit zu schmieden. Gegen Ende des Jahres war es dann so weit: Van den Brandt als flämische Regierungsbildnerin präsentierte eine Mehrheit, in der auch die N-VA mit dabei war. Und damit fingen die Probleme dann erst richtig an. Denn plötzlich war die frankophone Mehrheit gefährdet. Die hatte sich nach den Wahlen ziemlich schnell aus dem Wahlsieger MR zusammen mit Les Engagés und der PS gebildet. Doch als die N-VA auf Seiten der flämischen Mehrheit mit auftauchte, sagte die PS: Nein. Mit der N-VA werde die PS in Brüssel nicht zusammen regieren.

Van den Brandt erinnerte daran am Montag in der RTBF und sagte in fast lupenreinem Französisch: "Eine Regierung mit der N-VA war nicht möglich. Es gab Vetos von der PS, von Défi, von Ecolo und von der PTB. Es gab also keine Mehrheit mit dieser Partei. Deshalb muss es eine andere Lösung geben." Diese andere Lösung suchte der MR-Chef in Brüssel, David Leisterh, dann in der Folge vergeblich. Gegen Ende Februar nahm er sich eine Auszeit. Van den Brandt zusammen mit Christophe de Beukelaer von Les Engagés übernahmen. Sondierten, sprachen mit den Parteien, und präsentierten dann eine Mehrheit ohne die N-VA auf flämischer Seite.
Doch jetzt spielte die MR nicht mehr mit, forderte weiter die N-VA als Partner in der Regierung und ließ jetzt ihrerseits die frankophone Mehrheit platzen. Mit der PS wolle die MR nicht mehr zusammen regieren, sagte der MR-Vorsitzende Georges-Louis Bouchez - und forderte die Initiative für seine Partei zurück, eine Regierung in Brüssel zu schmieden. Für Van den Brandt ist das kein Problem. Die MR sei nun mal die stärkste Kraft in Brüssel. Da habe Bouchez durchaus das Recht, die Initiative zurückzufordern.
Doch was bislang geschehen sei, sei enttäuschend. In fünf Wochen habe sie nur einmal mit Bouchez gesprochen. Der verschwende seine Zeit damit, Podcasts mit dem Sohn von Sarkozy aufzunehmen. Doch statt solche Podcasts zu machen, solle Bouchez lieber Gespräche führen, arbeiten und versuchen, eine Lösung für Brüssel zu finden. Zumal es ja auch schon Gedankenspiele gibt, eine Regierung letztlich ohne die MR zu bilden. Eine solche Regierung hätte dann zwar nur eine hauchdünne Mehrheit im Parlament. Sei aber durchaus möglich.
"Das ist ein bisschen zynisch", kommentiert Van den Brandt dazu. "Denn obwohl die MR die Wahlen gewonnen hat und die stärkste Kraft ist, ist die PS die Partei, ohne die eigentlich gar nichts geht. Im Grunde ist auch eine Regierung ohne die MR möglich." Doch jetzt müsse erst einmal abgewartet werden, was die MR bis Anfang Juni wirklich liefert. Bis Anfang Juni soll ein Konzept für Brüssel stehen aus der Feder der MR. Um dieses Konzept herum soll dann eine Mehrheit gebildet werden. Zunächst also der Inhalt, dann die Parteien. Ob durch die Umkehr des normalen Prozesses einer Regierungsbildung der Gordische Knoten in Brüssel endlich gelöst werden kann: Kaum etwas scheint zurzeit fraglicher als das.
Kay Wagner