Demo in Brüssel, exakt einen Monat nach der letzten Großkundgebung am 13. Januar. Damals waren ja auch schon 30.000 Menschen durch die Straßen der Hauptstadt gezogen. "Hoffentlich sind es diesmal doppelt so viele", so ein viel gehörter Wunsch der Gewerkschaften. Denn: Sie wollen den Druck aufrechterhalten.
Die Arbeitnehmerorganisationen sind nach wie vor nicht zu sprechen auf die Reformpläne, die die neue Regierung ausgebrütet hat. Im Fokus steht da erst mal das Rentensystem. "Wissen Sie", sagte FGTB-Chef Thierry Bodson am Donnerstagmorgen in der RTBF, "all das läuft darauf hinaus, dass es in Zukunft unmöglich sein wird, vor dem Alter von 67 Jahren in den Ruhestand zu gehen. Alle Hintertüren wurden geschlossen. Wirklich alle."
Vor allem im öffentlichen Dienst sollen einige Vorteilregelungen verschwinden. In einigen Berufen ist es immer noch möglich, mit 55 in den Ruhestand zu gehen. Das soll schrittweise abgeschafft werden. Und das bereitet uns Sorgen, sagte Chris Reyniers, die CGSP-Vorsitzende, in der VRT. Die CGSP ist ja die sozialistische Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst.
"Wenn man gute Leute anwerben will im öffentlichen Dienst oder auch im Unterrichtswesen, nun, dann braucht man auch ein attraktives Angebot", sagt Chris Reyniers. "Und die Pensionsregelung ist nun mal ein Teil davon. Im Privatsektor gibt es die sogenannten extralegalen Vorteile, wie etwa Firmenwagen oder auch Gruppenversicherungen. Warum fokussiert man sich plötzlich so auf den öffentlichen Dienst?"
Das Ganze sei doch noch gar nicht spruchreif, man wolle doch erst noch mit den Sozialpartnern beraten, hört man da von Regierungsseite. Doch hat eben allein die Berichterstattung über die Strukturreformen - also als die Koalitionsverhandlungen noch liefen -, all die Presselecks und Nebelkerzen haben dafür gesorgt, dass die Menschen schlicht und einfach besorgt sind. "Unsere Mitglieder sind beunruhigt", sagte der FGTB-Generalsekretär Bert Engelaar in der VRT. Es ist unsere Basis, die uns dazu drängt, auf die Straße zu gehen.
Bei der christlichen CSC hört man - wie gewohnt - versöhnlichere Töne. Wobei: Auch hier ist die Besorgnis groß. Zum Beispiel sei es so, dass gewisse Maßnahmen offensichtlich nicht zu Ende gedacht wurden bzw. dass die genauen Modalitäten noch unklar sind, beklagte die CSC-Vorsitzende Ann Vermorgen in der VRT. Immerhin scheine die Regierung das inzwischen auch einzusehen.
Dennoch: Auch für die Arbeitgeber kommt diese Protestwelle verfrüht. Im Endeffekt sehe es so aus, als wären die Gewerkschaften prinzipiell gegen Strukturreformen. Und das sei völlig unverständlich, sagte Pieter Timmermans, der Geschäftsführer des Unternehmerverbandes FEB in der RTBF. "Die Herausforderungen sind enorm und die Reformen längst überfällig, weil sie leider immer wieder aufgeschoben wurden. Jetzt stehen wir mit dem Rücken zur Wand". Und er, so sagt Timmermans, er glaube immer noch, dass die Gewerkschaften am Verhandlungstisch mehr erreichen werden als auf der Straße.
Am Mittwoch hatte die Regierung die Sozialpartner ja schon zu einem ersten Treffen eingeladen. Arbeitgeber und Gewerkschaften sollen im Idealfall die Einzelheiten der geplanten Reformen gemeinsam ausarbeiten. Da gebe es auch noch Spielraum, betont die Regierung. Wobei am eigentlichen Ziel, also an der Stoßrichtung nicht mehr gerüttelt werden kann.
Dennoch wollten die Gewerkschaften mit der Aktion an diesem Donnerstag schon mal einen ersten Warnschuss abgeben. Spürbar sind die Auswirkungen auf jeden Fall an den Flughäfen, wo alle Starts und Landungen gestrichen werden mussten. Auch im öffentlichen Nahverkehr, in den Verwaltungen, bei der Post und in vielen Schulen geht nichts oder zumindest nicht sehr viel.
Und insbesondere für die FGTB ist das nur der Anfang: Die sozialistische Gewerkschaft will ja einen regelrechten Protestmarathon durchziehen. Der nächste Termin steht schon fest: Für den 31. März haben FGTB und CSC zu einem Generalstreik aufgerufen.
Roger Pint