Je nachdem, wie man ihn betrachtet, gleicht der neue Bahnhof von Mons einem riesigen Ufo, das auf einem großen leeren Platz gelandet ist. Oder auch einer überdimensionale Schirmmütze, mit dem flachen, breiten Kopf irgendeines Wesens darunter. Aus der Luft betrachtet bietet sich ein harmonisches Bild eines symmetrisch angelegten Großprojektes, das sich wie natürlich um die Gleise schmiegt, eingleitende Züge sachte in sich aufnimmt und ebenso sachte wieder ziehen lässt.
Kurz: Das Meisterwerk ist gelungen. Man könnte so stolz sein auf die Arbeit des spanischen Star-Architekten Santiago Calatrava, dessen Bahnhofsgebäude auch in New York, Valencia und Lüttich für Begeisterung sorgen.
Ja, man könnte… Wäre da nicht die leidliche Geschichte rund um die Entstehung des Bahnhofs. 2015, als Mons europäische Kulturhauptstadt war, sollten die Besucher dieses Meisterwerk schon bewundern. Doch immer und immer wieder verzögerte sich die Fertigstellung. "Bauunternehmen sind nach und nach pleite gegangen", erklärt der SNCB-Sprecher Dimitri Temmermans am Mittwoch bei der VRT, "und dann musste man immer wieder auf die Suche nach neuen Partnern gehen. Auch das hat dazu geführt, dass die Fertigstellung so lange gedauert hat".
Schlimmer noch als die zeitliche Verzögerung ist allerdings der Blick auf die Kosten. 37 Millionen Euro sollte die Umgestaltung des Bahnhofes kosten. 480 Millionen Euro sind es wohl geworden. Gut 13 Mal mehr, als ursprünglich geplant.
Die Zeitung La Dernière Heure spottet am Mittwoch darüber: Das wäre so, als wenn Sie sich das neue iPhone 16 für über 12.000 Euro kaufen würden oder den kleinen Dacia Sandero Stepway für den heruntergehandelten Preis von 221.000 Euro, äzt die Zeitung in ihrem Leitartikel. Solche Vergleiche helfen besser zu verstehen, wie groß der finanzielle Wahnsinn beim Bahnhof Mons ist.
Bei der Bahn, die für den Bau verantwortlich ist, zeigt man sich deshalb auch wenig stolz. "Das sind Entscheidungen, die in der Vergangenheit getroffen worden sind. Heute würden wir die nicht mehr treffen", sagt der SNCB-Sprecher.
Ganz zu Beginn der Planung 2004 war alles auch viel einfacher gedacht gewesen. "Das ursprüngliche Ziel war es, den bereits existierenden Bahnhof mit einer Fußgängerüberführung zu modernisieren, die anders aussehen sollte als das heutige Bauwerk. Letztlich ist es jetzt diese überdachte Überführung geworden", erklärt Temmermans.
Warum genau die Pläne 2011 nach bereits sieben Jahren Planung noch einmal so grundlegend geändert wurden, aus dem relativ kleinen Projekt einer Überführung der Bahngleise ein architektonisches Glanzstück werden musste, inklusiv massiver Kostensteigerung - das ist bis heute nicht richtig aufgearbeitet worden.
Auch nicht, warum für einen relativ unbedeutenden Bahnhof wie Mons dieser ganze Aufwand betrieben wurde. 15 Bahnhöfe in Belgien haben ein höheres Passagieraufkommen. Und trotzdem wurden die Steuermillionen in Mons immer und immer wieder nachgeschoben. Ein Fehler, den die Bahn heute nicht mehr machen würde, beteuert Bahn-Sprecher Temmermans. Auf Prestigeobjekte verzichte die Bahn seit einigen Jahren komplett. Außerdem arbeite sie mittlerweile mit einem zehnjährigen Investitionsplan. Womit Temmermans ausdrücken will, dass ausufernde Kosten wie beim Bahnhof Mons heute nicht mehr möglich wären.
Kay Wagner