Die Versuchung ist natürlich groß, erstmal den Kopf zu schütteln, wenn man hört, dass die Gewerkschaften gegen etwas auf die Straße gehen, das es noch gar nicht gibt. Aber andererseits ist angesichts der extremen Schieflage des Haushalts klar, dass kein Weg an schmerzhaften Reformen und Einsparungen vorbeiführen wird. Das bestreiten auch die Gewerkschaftsvertreter nicht. Man verstehe, dass es harte und schwierige Zeiten seien, so etwa Gert Truyens von der liberalen Gewerkschaft gegenüber der VRT. Umso wichtiger sei es aber doch, gemeinsam Lösungen zu finden anstatt Lösungen einfach von oben auferlegt zu bekommen.
Anders gesagt: Die Gewerkschaften wollten ebenfalls Verantwortung übernehmen – und deshalb mit am Verhandlungstisch sitzen. Deswegen rufe man die Arizona-Verhandlungsführer auf, die Sozialpartner in den Bereichen an den Gesprächen zu beteiligen, in denen sie gut seien, so Truyens.
Man müsse den politisch Verantwortlichen eine klare Botschaft senden, denn sie seien gerade dabei, über schmerzhafte Einschnitte und die Verteilung der Lasten zur Sanierung des Haushalts zu verhandeln. Ohne klare Botschaft an die Politiker bestehe die Gefahr, dass die ihre Maßnahmen einfach durchdrücken würden. Wenn das passiere, dann stünden die Arbeitnehmer aber bereit, sagte ein Demonstrant der RTBF.
Eine Warnung, die man sinngemäß auch von anderen Teilnehmern der Demonstration hörte. Er wolle das behalten, wofür er, seine Eltern und seine Großeltern gekämpft hätten, so ein Demonstrant. Wenn die Arizona-Regierung vorhabe, all das in den Mülleimer zu werfen, dann nicht mit ihm.
Die Menschen seien wirklich beunruhigt, unterstreicht auch Ann Vermorgen von der christlichen Gewerkschaft. Denn alles, was man in der Vergangenheit aufgebaut habe in puncto Soziale Sicherheit, sozialer Schutz und Arbeitnehmerrechte, drohe wieder abgebaut zu werden. Die normalen Bürger sollten die Zeche mal wieder alleine zahlen, wetterte Vermorgen.
Andere Demonstranten hatten vor allem die aus ihrer Sicht unfaire Verteilung der Anstrengungen zur Sanierung des Haushalts im Visier. Menschen mit einem Einkommen aus regulärer Arbeit bezahlten sehr hohe Steuern. Während Menschen, die von Vermögenseinkünften lebten, quasi keine Steuern zahlten. Das sei nicht gerecht und müsse geändert werden.
Einige Gewerkschaftler hatten auch schon sehr konkrete Vorstellungen, wie diese Veränderungen aussehen könnten: Die notwendigen Anstrengungen müssten gleichmäßig verteilt werden. Und wer breitere Schultern habe, müsse auch mehr tragen, forderte etwa Miranda Ulens von der sozialistischen Gewerkschaft.
Ann Vermorgen brach eine Lanze für eine Krisenabgabe von einem Prozent auf große Vermögen und für eine Kapitalertragssteuer in Höhe von 30 Prozent auf Aktien und Immobilien. Das könne jeweils etwa fünf Milliarden Euro einbringen.
Inwiefern sich die Arizona-Unterhändler von der Demonstration am Freitag beeindrucken lassen, bleibt abzuwarten. Aber in jedem Fall hat die Gemeinschaftsfront der Gewerkschaften schon angekündigt, ab jetzt jeden 13. des Monats demonstrieren zu wollen. Und andere Aktionen seien ebenfalls nicht ausgeschlossen.
Boris Schmidt