Erst wenige Tage ist er im Amt, und schon muss sich Bernard Quintin als neuer belgischer Außenminister mit einer ziemlich ungewöhnlichen Situation auseinandersetzen. Nämlich mit etwas, das die internationale Gemeinschaft viele Jahre lang vehement gefordert hatte, was dann lange fast vergessen worden war und jetzt plötzlich eine Tatsache ist: Syriens Machthaber Assad ist gestürzt.
Was für viele Grund zur Freude ist, wird überschattet durch die Tatsache, dass die neuen Machthaber Menschen sind, die zumindest im Westen als Terroristen eingestuft werden - und man noch nicht weiß, was das jetzt für Syrien bedeutet. "Wir müssen die Entwicklung der aktuellen Situation beobachten und analysieren", sagte deshalb Quintin am Donnerstagvormittag immer wieder im Gespräch mit zwei RTBF-Journalisten.
Die HTS, unter deren Führung Assad gestürzt worden sei, sei bislang überall - von der UN, der EU, den USA und auch Belgien - als Terrorgruppe eingestuft worden. Das habe sich auch jetzt nicht geändert. Aber man müsse eben beobachten, was jetzt geschehe, sagt Quintin. Man solle optimistisch bleiben. Das, was man bislang von ihnen mitbekommen habe, sei doch eher positiv. Die neuen Machthaber müssten an ihren Taten gemessen werden.
Was Belgien da von der Entwicklung in Syrien erwartet, davon hat Quintin eine klare Vorstellung. "Was ist zurzeit wichtig?", fragte er sich rhetorisch selbst und gab sich selbst die Antwort. "Erstens: Dass die territoriale Einheit von Syrien respektiert wird. Zweitens: Dass das internationale Recht eingehalten und die Menschenrechte gewahrt bleiben und dass alle Gemeinschaften in Syrien, allen voran die Minderheiten, geschützt werden. Unter diesen Voraussetzungen kann Syrien wieder aufgebaut werden."
Aussetzung von Asylverfahren richtige Entscheidung
Dass die Asylverfahren für Syrer, die vor dem Bürgerkrieg nach Belgien geflohen sind, jetzt erst einmal ausgesetzt worden sind, sei eine richtige Entscheidung, wertet Quintin. Eben weil man nicht wisse, ob Syrien jetzt wieder zu einem sicheren Land werde. Weshalb auch jetzt nicht alle Syrer wieder zurückgeschickt werden könnten, denen bereits Asyl gewährt worden ist.
Beobachten und Abwarten ist auch das Credo von Quintin, wenn es um die Belgier geht, die noch auf syrischem Boden in Gefangenschaft sind - meist ehemalige Kämpfer des Islamischen Staates, meist gefangen gehalten von Kurden im Norden von Syrien. Der Anti-Terrorstab Ocam verfolge das sehr genau, sagte Quintin, verfüge über seine Kontakte zu anderen Diensten auch über alle nötigen Informationen. Er selbst allerdings wolle sich zu dem Thema, das Hochsicherheitsfragen beträfe, nicht näher äußern.
Aber auch bei den siegreichen HTS-Milizen mit islamistischer Prägung sind eine Handvoll Belgier dabei. Auch darüber sei man informiert, bestätigte Quintin. Auch hier sei die Devise: wachsam bleiben. "Ich habe keine Glaskugel, um sagen zu können: Morgen werden diese Menschen sich wieder radikalisieren und zu uns zurückkehren", sagte der Außenminister. "Ich glaube, wir sollten da weder in Panik verfallen noch den Kopf in den Sand stecken. Wir müssen das Schritt für Schritt verfolgen. Mit all der Ernsthaftigkeit, die das erfordert.
Van Tigchelt: Westen sollte wegen Lage in Syrien nicht in Panik verfallen
Kay Wagner