Es war eine Mitteilung des Stahlriesen ArcelorMittal Anfang dieser Woche, die die Alarmglocken schrillen ließ. In der Mitteilung kündigte das weltweit aktive Unternehmen an, seine Pläne für die Produktion von "grünem Stahl", also mehr oder weniger umweltfreundlich produziertem Stahl, im Werk von Gent auf Eis zu legen.
"Dabei handelt es sich um Investition von rund zwei Milliarden Euro, wodurch das Projekt zum größten Vergrünungsprojekt der belgischen Unternehmenswelt wird", rechnete die CD&V-Politikerin Leentje Grillaert in der Kammer vor. "Wenn über diesem Projekt jetzt das Damoklesschwert hängt, dann müssen wir darauf reagieren." Denn wenn ArcelorMittal nichts dafür täte, in die Zukunft des Werks in Gent zu investieren, sei der nächste Schritt - nämlich die Schließung des Werkes - sicher nicht weit.
Völlig überraschend seien diese Nachrichten zwar nicht, erinnerte die CD&V-Politikerin. Trotzdem würde jetzt plötzlich vieles in Frage stehen, was eigentlich schon als beschlossen galt. Für die Umgestaltung des Werks und die damit verbundenen Milliardeninvestitionen habe die Region Flandern bereits einen Zuschuss von 600 Millionen Euro bewilligt. Die Föderalregierung hatte im Frühjahr dem Stahlriesen zehn Jahre billigen Strom in Gent zugesichert, um die Umgestaltung zu einer nachhaltigeren Stahlproduktion zu unterstützen.
Und natürlich geht es auch um die Zukunft von Arbeitsplätzen. Rund 5.000 Menschen arbeiten bei ArcelorMittal Gent, weitere 25.000 Arbeitnehmer sind bei Unternehmen beschäftigt, die von den Aktivitäten des Stahlriesen in Gent abhängig sind.
Was, so die Frage von Grillaert an Premierminister Alexander De Croo, werde er tun, um ArcelorMittal zum Einlenken zu bringen?
De Croo überbrachte relativ gute Nachrichten. Er habe bereits reagiert, berichtete er in der Kammer, und kurz nach der Mitteilung von ArcelorMittal Kontakt zur ersten Vize-Präsidentin der neuen EU-Kommission aufgenommen, der Spanierin Teresa Ribera Rodriguez. Und nachdem diese am Mittwoch in ihrem Amt als zuständige Kommissarin für Wettbewerbsfähigkeit vom Europaparlament bestätigt worden sei, habe er heute die Antwort erhalten, "dass sowohl Frau Ribera als auch Herr Séjourné, der neue EU-Kommissar für industrielle Strategie, auf die Aussetzung der Investitionen eingehen werden. In den kommenden Tagen werden sie das Werk von ArcelorMittal in Gent besuchen, um mit der Werksleitung und den Mitarbeitern zu sprechen."
De Croo selbst werde gemeinsam mit dem flämischen Ministerpräsidenten Matthias Diependaele die beiden EU-Kommissare bei diesem Besuch begleiten. "Gent ist einer der produktivsten Plätze für die Stahlproduktion in der Welt", sagte De Croo, "und potenziell einer der grünsten in der Welt. Es wäre Wahnsinn, wenn der Standort bestraft werden sollte für die Tatsache, dass das Richtige gemacht wird."
Die fragende CD&V-Politikerin Grillaert zeigte sich zufrieden mit dieser Antwort. Die dunklen Wolken über der Zukunft des Werks in Gent allerdings bleiben. Ein neues Industriedebakel droht.
Vor 13 Jahren hatte der Luxemburger Stahlriese in seinem damaligen Werk in Lüttich große Teile der Stahlproduktion stillgelegt. Tausende Mitarbeiter verloren ihren Job. Die Bemühungen der Politik, daran etwas zu ändern, waren damals weitgehend gescheitert.
Kay Wagner