Sieben dafür, neun dagegen, sechs Enthaltungen. So liest sich das Ergebnis der belgischen Europaabgeordneten bei der Abstimmung zur neuen EU-Kommission am Mittwoch in Straßburg.
Es handelt sich um eine Premiere, denn noch nie hatte es eine Mehrheit unter den belgischen Europaabgeordneten gegeben, die eine neue EU-Kommission ablehnt.
Ganz besonders groß ist die Ablehnung auf frankophoner Seite: Kein einziger der acht Europapolitiker der frankophonen Parteien stimmte für die neue Kommission. PS, Ecolo und PTB stimmten dagegen. Die Abgeordneten von MR und Les Engagés enthielten sich der Stimme.
Zu ihnen zählt auch Sophie Wilmès, die laut Umfragen immer noch beliebteste Politikerin im frankophonen Belgien. Sie versuchte am Donnerstagvormittag in der RTBF ihr Abstimmungsverhalten zu erklären.
Für ihre Enthaltung seien vor allem drei Gründe ausschlaggebend gewesen. Grund eins läge in dem Versprechen, dass die Kommissionsvorsitzende Ursula von der Leyen bei ihrer Wahl den Europaabgeordneten gegeben habe. Da habe von der Leyen nämlich gesagt, dass sie keinen Kandidaten von rechtsextremen Parteien in ihrer Mannschaft akzeptieren werde.
"Wir stellen allerdings fest", sagte Wilmès, "dass sie dadurch, dass sie Herrn Fitto von den Fratelli d‘Italia zu einem Vize-Präsidenten gemacht hat, ihre Zusage gebrochen hat. Das ist für uns ein Bruch des Cordon sanitaire und stellt ein großes Problem dar."
Daneben sei auch der Politiker Fitto selbst ein Problem, begründete Wilmès weiter. Denn er sei nicht nur Mitglied einer postfaschistischen Partei, sondern er vertrete tatsächlich auch problematische politische Standpunkte. Vor allem sein Respekt vor dem Rechtsstaat sei bedenklich. Bei den Anhörungen im Europaparlament, bei denen Kommissionskandidaten auf ihre Tauglichkeit geprüft werden sollten, habe sich das erneut gezeigt.
Als dritten Grund nennt Wilmès das wochenlange, durch die Personalie Raffaele Fitto ausgelöste Geschacher zwischen den großen Fraktionen im Europaparlament. Denn plötzlich war auch die spanische Sozialistin Teresa Rodriguez ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, letztlich wohl aber nur, um den Postfaschisten Fitto im Team der Kommissare zu halten.
"Wir haben uns in einem Kasperle-Theater wiedergefunden, in einem generalisierten Kuhhandel, wodurch die Arbeit des Parlaments komplett missachtet wurde", ärgert sich Wilmès.
Die Gründe, die Wilmès aufzählt, werden auch ausschlaggebend für die belgischen Nein-Stimmen aus den Reihen von PS, Ecolo und Groen gewesen sein. Dass die PTB wie bislang immer gegen die EU-Kommission stimmte und die Abgeordneten des Vlaams Belang kein Problem mit dem Italiener Fitto haben, dürfte dagegen kaum verwundern.
Für Wilmès war eine Nein-Stimme allerdings keine Option. Denn einerseits gehört zum neuen Kommissions-Team auch die Parteifreundin Hadja Lahbib, die von Wilmès noch einmal ausdrücklich als gute Wahl für den Posten des belgischen EU-Kommissars gelobt wurde.
Andererseits wollte Wilmès aber auch, dass trotz aller Kritik die neue EU-Kommission jetzt so schnell wie möglich mit ihrer Arbeit beginnt. "Wir müssen endlich anfangen zu arbeiten", sagte Wilmès wörtlich. "Acht Monate hat die EU nur auf Sparflamme funktioniert. Die anderen Länder in der Welt warten nicht auf uns. Es ist höchste Zeit, dass wir da wieder mitmischen."
Kay Wagner