"Der Vlaams Belang ist auf der lokalen Ebene dann doch durchgebrochen", titelt am Mittwoch schon die flämische Zeitung De Morgen. "Durchgebrochen" ist vielleicht dann doch ein großes Wort… De Standaard formuliert es nuancierter: "Der Deich rund um die Rechtsextremisten wird langsam unterspült".
Anlass für diese Schlagzeilen sind die jüngsten Entwicklungen in zwei ländlichen flämischen Gemeinden, die es im Normalfall nur selten in die nationalen Nachrichtensendungen schaffen, nämlich in Brecht, nördlich von Antwerpen und im westflämischen Izegem. Beide reihen sich jetzt in die Liste der Gemeinden ein, in denen in den kommenden sechs Jahren der rechtsextreme Vlaams Belang mitregieren wird. Diese Liste umfasst jetzt vier Namen.
Im ostflämischen Ninove war das schon am Wahlabend klar: Dort hatte die Liste Forza Ninove am vergangenen 13. Oktober die absolute Mehrheit geholt. Spitzenkandidat und folglich auch künftiger Bürgermeister ist der Vlaams-Belang-Politiker Guy D'haeseleer. Forza Ninove gilt als eine lokale Zweigstelle der Partei… Aber, man konnte das nicht als einen "Bruch" des Cordon sanitaire bezeichnen, da Forza Ninove ja nicht auf die Hilfe eines Koalitionspartners angewiesen war.
Anders war das in Ranst in der Provinz Antwerpen. Vor etwas mehr als einem Monat ging dort die lokale Liste PIT eine Koalition mit dem örtlichen Vlaams-Belang-Ableger ein. Und das war dann tatsächlich eine Premiere: Es war das erste Mal überhaupt, dass der Cordon sanitaire durchbrochen wurde. Das erste Mal seit dem Bestehen dieser Selbstverpflichtung: 1988 hatten sich die demokratischen Parteien erstmals gelobt, nicht mit den Rechtsextremisten zusammenzuarbeiten. 1991, nach dem Schwarzen Sonntag und dem endgültigen Durchbruch des damaligen Vlaams Blok, hatten sie dieses Versprechen erneuert. Und bis jetzt hatte es gehalten. Eben bis zur Koalitionsentscheidung von Ranst.
Ranst scheint da irgendwie eine Tür aufgestoßen zu haben. Denn am Dienstag folgten eben Izegem und Brecht dem Beispiel. In Izegem hatte die örtliche Liste STiP+ schon einmal eine Koalition mit der örtlichen Vlaams-Belang-Sektion angekündigt. Daraufhin war es aber zu Protesten in der beschaulichen Gemeinde gekommen. Außerdem sollen Mitglieder Liste STiP+ bedroht worden sein. Kaum an- wurde die Koalition also wieder aufgekündigt. Doch wagt man jetzt doch einen zweiten Anlauf.
Spitzenkandidat Kurt Grymonprez, der sich bald die Bürgermeisterschärpe umbinden darf, steht zu seiner Koalition mit den Rechtsextremisten. Er habe kein Problem damit, zusammen mit den Vlaams-Belang-Leuten in den kommenden sechs Jahren die Geschicke von Izegem zu lenken, sagte Grymonprez in der VRT. Es gebe klare Absprachen. Zumindest wenn's um Izegem geht, teile man dieselbe Vision. Und das sei für ihn am wichtigsten. Für nationale Politik gebe es auf Ebene der Gemeinde keinen Platz. "Klare Absprachen", damit meint der künftige Bürgermeister unter anderem das Versprechen der örtlichen Vlaams-Belang-Leute, eben die nationalen Themen draußen zu lassen, angefangen bei der Migration. Da wurden die Kanten offensichtlich abgefeilt.
Das Gleiche gilt in Brecht. Dort hat sich die örtliche Liste nu2960 dazu entschlossen, mit dem lokalen Vlaams-Belang-Ableger eine Koalition einzugehen. Vorher musste sich die Liste aber umtaufen. Die Rechtsextremisten firmieren jetzt unter dem Namen "Ons Brecht". "Wir hatten irgendwann keine andere Wahl mehr", rechtfertigte sich der künftige Bürgermeister Frans Van Looveren in der VRT.
Fünf Wochen lang habe man versucht, mit der örtlichen N-VA zu verhandeln. Man habe die Vertreter der Liste fast schon dazu zwingen müssen, überhaupt miteinander zu reden. Die N-VA sei einfach nicht konstruktiv gewesen. Das, was Frans Van Looveren hier sagt, kann man fast als ein "klassisches Muster" bezeichnen. Ranst, Izegem, Brecht, was diese Fälle verbindet, das ist eine scheinbar unüberwindbare Pattsituation. In der dann der Vlaams Belang plötzlich als mögliche Lösung, als Pannenhelfer ins Spiel kam.
Für Beobachter ist das ganz klar eine Nebenwirkung der neuen Wahlgesetzgebung. Weil ab jetzt die stärkste Liste automatisch den Bürgermeister stellt, haben sich fast überall große Kartelle gebildet. Oft waren es zwei große, rivalisierende Blöcke, und dann der Vlaams Belang an der Seitenlinie. Und je tiefer der Graben zwischen den Platzhirschen, desto größer die Gefahr, dass der Vlaams Belang zum lachenden Dritten wurde.
Auf den drei Listen, die jetzt also den Cordon sanitaire missachtet haben, waren jeweils auch Mitglieder der "nationalen" Parteien. Interessanterweise nur von den traditionellen, also CD&V, OpenVLD und sogar Vooruit. Bei der N-VA hat man sich demgegenüber offensichtlich an die interne Parteiorder gehalten und Distanz zum Vlaams Belang gehalten… Die Betreffenden wurden von ihren jeweiligen Parteien mit sofortiger Wirkung ausgeschlossen. Zumindest auf der höheren Ebene hat der Cordon sanitaire also durchaus noch Bestand…
Roger Pint