Es ist selten, dass die Zeitungen in Belgien in ihren Leitartikeln nur ein einziges Thema kommentieren. Der Bruch des Cordon sanitaire in der flämischen Gemeinde Ranst ist am Montag ein Thema für alle großen Zeitungen in den drei Sprachgemeinschaften.
Passiert war es am frühen Samstagabend. Da hatte der neue Bürgermeister von Ranst, Bart Goris, zu einer Pressekonferenz geladen. Goris war Spitzenkandidat der lokalen Formation PIT. Acht von 25 Sitzen konnte PIT gewinnen, brauchte zum Regieren also Partner. Mit der anderen Lokalpartei Vrij Ranst, die drei Sitze erzielte, war man sich schnell einig. Beide Formationen sind politisch in der Mitte anzusiedeln und zählten bis Samstagabend in ihren Reihen auch Parteimitglieder von CD&V und OpenVLD. Für eine Mehrheit brauchten die Partner aber noch einen Verbündeten.
"Wir haben mit allen Parteien in Ranst gesprochen. Mit Groen hatten wir inhaltlich einige Differenzen. Deshalb war das keine wirkliche Option für uns. Mit der N-VA haben wir auch gesprochen. Aber sie haben die Tür geschlossen und uns klar gemacht, dass sie nicht mit uns zusammenregieren wollen", berichtet Bürgermeister Goris bei der VRT.
Also habe man sich an den Vlaams Belang gewandt. 14 Prozent der Stimmen und drei Sitze im Gemeinderat hatten die Rechtsextremen bei den Wahlen errungen. Die Verhandlungen liefen erfolgreich - eine Allianz wurde geschmiedet.
"Die Anliegen unserer Gemeinde haben den Ausschlag gegeben. Das ist uns wichtiger als Überlegungen zum Cordon sanitaire", so Joris' Antwort auf die Frage eines VRT-Journalisten, ob er sich im Klaren sei, dass er damit den Cordon sanitaire gebrochen habe.
Der Vlaams Belang wird deshalb das erste Mal überhaupt irgendwo regieren. Dies nicht, weil er - wie in Ninove wahrscheinlich - die absolute Mehrheit erzielen konnte, sondern weil andere Parteien sich dazu entschlossen haben, mit dem Vlaams Belang zusammenzuarbeiten und damit genau das zu tun, was der Cordon sanitaire verhindern soll.
Der Parteichef des Vlaams Belang, Tom Van Grieken, gibt sich begeistert. "Vor Ihnen steht ein sehr glücklicher Mann", sagt er bei der VRT. "Das ist ein guter Tag für den Vlaams Belang. Aber es ist vor allem ein wichtiger Tag für die Demokratie. A- und B-Wähler, das gehört der Vergangenheit an. Die Demokratie hat gewonnen. Und das ist immer gut."
Ganz anders Sammy Mahdi, Parteichef der CD&V. Genauso wie die OpenVLD hatte seine Partei noch am Samstag ihren Mitgliedern, die über die Listen von PIT und Vrij Ranst jetzt mit dem Vlaams Belang zusammenarbeiten, die Parteizugehörigkeit entzogen. Bei der RTBF begründete Mahdi: "Wir hatten in der Partei immer eine klare Haltung: Diejenigen, die mit dem Vlaams Belang zusammenarbeiten, gehören nicht zur CD&V. Denn für uns zählt jeder Bürger. Und beim Vlaams Belang ist das, glaube ich, nicht so."
Scharfe Worte gab es auch von Jean-Luc Crucke von Les Engagés, der frankophonen Schwesterpartei der CD&V. "Das ist ein verabscheuungswürdiges Signal. Mit Rechtsextremen sind Koalitionen und Diskussionen nicht möglich. Genauso wenig übrigens wie mit Linksextremen. Als Demokrat muss man Grenzen setzen können und darf diese Grenzen dann auch nicht überschreiten."
Kay Wagner