Es gab eine Zeit, da war die Abspaltung Flanderns von Belgien auch eine Forderung der flämischen Unternehmerwelt. 2005 veröffentlichte die flämische Denkfabrik "In de Warande" ein Manifest, in dem genau das vorgeschlagen wurde. Die Denkfabrik wurde damals geleitet von einem ehemaligen Vorsitzenden des flämischen Unternehmerverbandes VEV. Dieser Verband war erst ein Jahr zuvor dank einer Fusion zu dem geworden, was heute Voka heißt und der große Unternehmerverband von Flandern ist.
Wallonie hat enormes Potential
Der aktuelle Voka-Präsident heißt Rudy Provoost. Er war am Donnerstagmorgen im Radio der RTBF zu Gast. Was Provoost da sagte, will gar nicht zu dem passen, was flämische Unternehmer vor nicht mal 20 Jahren öffentlich gefordert hatten. Die Wallonie ein lästiges Anhängsel? Ein Hemmschuh für die Entwicklung Flanderns? "Nein, die Wallonie hat ein enormes Potenzial", sagt Provoost. "Viele Herausforderungen, aber auch viele Perspektiven und Interessen. Ähnlich und vergleichbar mit Flandern. Und mit der neuen Regierung in der Wallonie habe ich große Hoffnung, dass sich daraus einiges entwickeln kann."
Es scheint also an der neuen Regierung in der Wallonie zu liegen, dass das Interesse der flämischen Unternehmer an einer Zusammenarbeit mit der Wallonie stärker als bisher erwacht. Der Voka-Chef spricht das sogar deutlich aus. Wörtlich sagt er: "Die Wähler haben tatsächlich den Kontext verändert. Bezogen auf potenzielle Reformen ist die neue Regierung deutlich besser aufgestellt als die ehemalige Regierung. Da gibt es einen enormen Willen, erfolgreich zu sein. " Oder anders ausgedrückt: Jetzt, wo keine linke Partei mehr Teil der Regierung in der Wallonie ist, sehen die Unternehmer aus Flandern Potenzial, eine Politik in der Wallonie erleben, die ihren Vorstellungen entspricht.
Lob für Adrien Dolimont
Besonderes Lob bekommen da führende Politiker der Liberalen von der MR. Über den neuen MR-Ministerpräsidenten Adrien Dolimont sagt der Voka-Chef: "Ich bin sehr beeindruckt von dem, was Herr Dolimont versucht zu verwirklichen. Wir haben ihn übrigens auch zu uns eingeladen, zu unserer ersten großen Veranstaltung nach der Sommerpause. Bezogen auf seine Überzeugungen, seine politische Ausrichtung und seine Visionen bin ich wirklich beeindruckt."
Ähnlich, aber nicht ganz so überschwänglich, fällt auch das Lob für MR-Chef Georges-Louis Bouchez aus. "Das ist ein wagemutiger Mann mit vielen Qualitäten", sagt Provoost. Und fügt hinzu: "Die große Herausforderung für Georges-Louis Bouchez ist es, ein Gleichgewicht zu finden zwischen seinen Überzeugungen und Kompetenzen und der Fähigkeit, Koalitionen zu schmieden und Kompromisse zu akzeptieren."
Die MR an der Macht – das gefällt also den flämischen Unternehmern. Verwunderlich ist das natürlich nicht. Liberale Parteien sind meist nach dem Geschmack der Wirtschaftswelt. Weshalb Provoost auch sehr enge Kontakte zu N-VA-Chef Bart De Wever nachgesagt werden.
Die N-VA wollte politisch lange Zeit ja auch die Abspaltung Flanderns vom restlichen Belgien erreichen. Die Angst der frankophonen Parteien, auch von MR und Les Engagés, ist deshalb weiter da, dass De Wever dieses Ziel auch als möglicher Premierminister verfolgen könnte. Eine begründete Angst? "Auf keinen Fall", sagt Voka-Boss Provoost. "Ich glaube, dass Bart De Wever wirklich die Absicht hat, die Kräfte zu bündeln, eine Allianz zwischen all diesen Parteien zu gründen, die um den Verhandlungstisch sitzen, um ein sozio-ökonomisches Reformprogramm zu verwirklichen, das seinen Namen verdient."
Kay Wagner