Kathleen Van Brempt ist seit 2009 Mitglied des Europaparlaments. Die flämische Sozialistin hat schon dreimal die Prozedur miterlebt, durch die das neue Team der EU-Kommissare nach Europawahlen zusammengestellt wird. Als es vor fünf Jahren der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gelungen war, in ihrem Team aus Kommissaren fast genauso viele Frauen wie Männer zu haben, wurde das auch von Van Brempt durchaus begrüßt.
Zwölf Kommissarinnen und 14 Kommissare - die Geschlechtergleichstellung war damals fast geglückt. Das Gleiche sollte sich jetzt wiederholen. Doch aktuell sieht es nicht danach aus, als ob das klappen könnte. Zurzeit besteht das Kandidatenfeld von von der Leyen laut VRT aus zehn Frauen und 18 Männern.
Die Belgierin Van Brempt erklärt, warum das so ist. "Jeder EU-Mitgliedstaat macht einen Vorschlag an die EU-Kommission. Im Gegensatz zum vergangenen Mal haben sich die Mitgliedstaaten diesmal ganz und gar nicht an das gehalten, was die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgeschlagen hatte. Die Mitgliedstaaten haben nur einen Kandidaten benannt. Nur Bulgarien hat tatsächlich zwei Kandidaten vorgeschlagen, einen Mann und eine Frau."
Wie schon 2019 hatte von der Leyen alle Mitgliedstaaten dazu aufgerufen, zwei Kandidaten für den Posten des EU-Kommissars vorzuschlagen. Aber bis auf Bulgarien haben die Staaten die Vorgabe einfach ignoriert - und oft dann eben nur einen Mann als Kandidaten benannt, weshalb es jetzt weniger Frauen auf der Kandidatenliste gibt als eigentlich gewollt.
"Die größte Verantwortung dafür tragen natürlich die EU-Mitgliedstaaten", sagt dazu Van Brempt. "Aber auch von der Leyen hätte den Mitgliedstaaten früher viel deutlicher sagen müssen, wie wichtig das ist und dass viel davon abhängt."
Wenn ein Land nämlich sowohl einen Mann als auch eine Frau als Kandidaten ins Rennen schickt, erhöht das die Chancen auf einen bedeutenden Posten unter den EU-Kommissaren. Denn auch das ist der Wille von von der Leyen: Die Frauen, die Kommissarinnen werden, sollen auch entscheidende Posten erhalten. Der Einfluss der Länder, aus denen sie kommen, wächst dadurch innerhalb der EU - weshalb Van Brempt Belgiens Entscheidung gut findet, Hadja Lahbib als neue EU-Kommissarin vorzuschlagen. Das könne dazu führen, dass Belgien einen bedeutenden Posten bekommt.
Und es ärgert Van Brempt, dass in der belgischen Öffentlichkeit darüber diskutiert wird, ob Lahbib überhaupt die Fähigkeiten besitzt, ein solches Amt auch wirklich auszufüllen. Solche Fragen würden immer nur bei Frauen gestellt: Ist sie tatsächlich gut genug für dieses Amt? Bei Männern höre sie das nie.
Dass es überhaupt wieder zu dieser Situation gekommen ist, dass wieder deutlich mehr Männer als Frauen für die Kommissars-Posten vorgeschlagen werden, wertet Van Brempt als Ausdruck eines aktuellen Trends. "Wir spüren, dass überall in Europa und auch in der Welt die Rechte der Frauen - und das ist ein weites Feld - wieder ziemlich unter Druck geraten sind. Das ist sehr beunruhigend. In der Politik sagen viele, dass man sich um die Rechte der Frauen durchaus kümmert. Deshalb achtet man aber auch weniger auf das, was tatsächlich passiert."
Kay Wagner