Valérie Glatigny hat nur noch indirekt etwas mit der Politik in der Französischen Gemeinschaft zu tun. Bei den jüngsten Wahlen trat die MR-Politikerin nämlich für das föderale Parlament an und wird künftig dort mitentscheiden; aber nicht mehr das, wofür sie sogar mal ihren Namen hergegeben hatte: die Hochschulpolitik im frankophonen Belgien. "Reform Glatigny" hatten MR, PS und Ecolo die Änderungen genannt, durch die das Studium an Hochschulen und Universitäten im frankophonen Belgien zügiger gestaltet werden sollte. Kurz gesagt: Studenten sollten in kürzerer Zeit mehr Prüfungen bestehen.
Seit September 2022 mussten Studenten nach den neuen Regeln studieren. Glatigny steht immer noch hinter dieser Reform: "Das ist eine Reform, die auf ausdrücklichen Wunsch der akademischen Welt gemacht worden ist. Es war nicht ich, die ich mir das allein in meinem Büro ausgedacht habe. Das haben wir zusammen gemacht, weil die akademische Welt festgestellt hatte, dass immer weniger Studenten die Prüfungen bestehen und sich dadurch die Studienzeiten verlängern. Dadurch gerieten immer mehr Studenten in prekäre Lebensumstände.“
Das neue System habe auch erste Erfolge verbucht, erklärt Glatigny. Statt ihre Prüfungen immer weiter aufzuschieben, hätten viele Studenten tatsächlich schon im Januar erste Prüfungen abgelegt. Doch alles sei dann in Frage gestellt worden, weil Teile der Studentenvereinigung FEW behauptet hatten, dass tausende Studenten wegen der Reform im kommenden Herbst vom Studium ausgeschlossen würden.
Die PTB machte sich schnell zum Anwalt der Studenten und forderte die Regierungsparteien dazu auf, die Reform Glatigny zurückzunehmen. PS und Ecolo schlossen sich der Bewegung an und sorgten dafür, dass die Reform kurz vor den Wahlen tatsächlich wieder gekippt wurde.
"Ich habe es als äußerst illoyal empfunden", sagt dazu Glatigny, "dass die PTB pfeift und PS und Ecolo hinterherlaufen. Und das auf Grundlage einer Zahl, die sich als falsch herausgestellt hat. 70.000 Studenten, die vom Studium ausgeschlossen worden wären wegen der Reform - wir wissen mittlerweile, dass das eine komplette Fake-News war."
Dieser Vorgang hatte damals zu starken Verstimmungen innerhalb der Regierung geführt. Die MR blockierte als Retourkutsche einige Gesetzestexte, die von PS-Politikern behandelt wurden. Schließlich raufte man sich zusammen, überstand die letzten Wochen bis zu den Wahlen unbeschadet.
Jetzt werden die Karten neu gemischt, aber eines ist klar: Die MR wird in der Französischen Gemeinschaft die neue starke Kraft sein und wahrscheinlich zusammen mit Les Engagés eine Koalition bilden. PS und Ecolo werden wohl in der Opposition landen. Deshalb stehen die Chancen auch ziemlich gut, dass die Reform Glatigny in ihrer ursprünglichen Form ein Comeback erleben wird. Die Namensgeberin dazu: "Meine Partei hat auf jeden Fall den Wunsch, das wieder zu ändern. Wir werden sehen, ob Les Engagés das mittragen werden. Aber ich glaube verstanden zu haben, dass auch sie zum Geist der Reform zurückkehren wollen."
Kay Wagner