Wo es ziemlich klare Gewinner gibt, gibt es auch ziemlich eindeutige Verlierer - so wie die Partei von Noch-Premierminister Alexander De Croo, die flämischen Liberalen von der Open VLD. Seit Sonntagabend hilft kein Schönreden mehr, die Wahl war ein Desaster für die Open VLD. Wie die Partei genau damit umgehen wird, darüber wird wohl nicht nur in der Sitzung des Parteibüros am Montag viel diskutiert werden. Aber zwei personelle Konsequenzen stehen wohl bereits fest: Das Wahlergebnis sei sehr schlecht, bestätigte Premier De Croo am Montagmorgen erneut gegenüber der VRT. Er werde wie angekündigt die Verantwortung dafür übernehmen. Parteivorsitzender Tom Ongena will ebenfalls das Handtuch werfen. Jemand anderes müsse die Erneuerung der Partei leiten, so Ongena. Allgemein wird auch damit gerechnet, dass die Partei in die Opposition gehen wird.
Als Katastrophe muss man auch die Ergebnisse von Ecolo bezeichnen - sowohl in Brüssel als auch in der Wallonie. Es überrascht also nicht, dass die Co-Präsidenten Rajae Maouane und Jean-Marc Nollet ebenfalls abtreten. Er stehe nicht erneut für den Vorsitz zur Verfügung, so Nollet am Morgen in der RTBF. Bei der flämischen Schwesterpartei Groen ist davon keine Rede. Die musste in Flandern zwar heftig einstecken, konnte sich in Brüssel aber behaupten. Groen-Föderalministerin Petra De Sutter schließt deshalb auch einen Wechsel an der Spitze der Partei aus.
Ebenfalls wenig Grund zum Feiern haben bekanntermaßen die frankophonen Sozialisten von der PS. Die halten sich aktuell auch noch eher bedeckt, seitdem Parteichef Paul Magnette am Sonntagabend bereits den Rechtsruck im frankophonen Landesteil eingeräumt hatte. Aber zumindest Ahmed Laaouej von der Brüsseler PS gibt sich kämpferisch: Die PS habe in der Hauptstadt ihre Position halten können und keine Sitze verloren, unterstreicht er. Nichts gehe hier ohne die Sozialisten. Das bezieht sich wohlgemerkt ausschließlich auf Brüssel. Föderal, in der Wallonie und in der Französischen Gemeinschaft muss die PS absolut damit rechnen, potenziell ausgebootet zu werden.
In der Wallonie und in der Französischen Gemeinschaft ist der Durchbruch der liberalen MR und der Zentrumshumanisten von Les Engagés nämlich so stark, dass sie rechnerisch eine Mehrheit ohne PS bilden könnten. Und das ist ein Koalitionsszenario, das Georges-Louis Bouchez und Maxime Prévot auch schon deutlich ausgesprochen haben. Bouchez spricht von einem klaren Signal der Wähler für eine Mitte-Rechts-Politik. Es sei also normal, dass beide Parteien prioritär miteinander verhandelten. Bouchez schließt explizit aber auch keine Gespräche mit anderen Parteien aus.
Für die föderale Ebene wird aktuell vor allem das Szenario einer Koalition aus N-VA, CD&V und Vooruit auf flämischer und MR und Les Engagés auf frankophoner Seite hoch gehandelt. Und auch hier könnte die PS in die Röhre schauen, denn die Schwesterpartei Vooruit scheint bereit, ohne sie in See zu stechen. Unter einer Bedingung: Den Rotstift im Gesundheitswesen anzusetzen sei tabu, bekräftigte Vooruit-Chefin Melissa Depraetere.
Und was sagt der große Sieger des Wahlabends selbst, N-VA-Chef Bart De Wever? Nicht viel. Zumindest nicht viel bezüglich seiner Verhandlungsstrategie: Es sei nicht gut, sich nun in öffentlichen Erklärungen über mögliche Koalitionen zu ergehen, so De Wever am Morgen. Jeder mache gerade seine eigenen Berechnungen, sich öffentlich zu äußern sei kontraproduktiv. Die Vorsitzenden der Parteien würden zunächst mit dem König sprechen, dann werde man weiter sehen. Damit reagiert De Wever auch auf Aussagen von Les Engagés-Chef Maxime Prévot. Denn der sieht De Wever nicht als nächsten Premier in die Rue de la Loi 16 einziehen. Er respektiere De Wever als Person, so Prévot. Aber um Premier zu werden, sei Respekt vor allen Menschen im Königreich nötig. Und er glaube nicht, dass das bei De Wever und dem Süden des Landes bisher der Fall gewesen sei.
Wahlen zur Kammer: Stimmen ausgezählt - Koalitionsgespräche können losgehen
Boris Schmidt