Die N-VA will doch eigentlich die Abspaltung Flanderns vom Rest des Landes. Warum kandidiert sie jetzt auch in der Wallonie?
Tatsächlich ist das ein Paradox. Und dieses Paradox bleibt bis heute bestehen. Es gibt Beobachter, die sagen, dass es der N-VA vor allem darum geht, Geld zu bekommen. Denn jede Stimme bei den Wahlen bringt jeder Partei ein bisschen Geld. In Flandern wird die N-VA viele Stimmen verlieren - vor allen an den Vlaams Belang. Und da könnte die Partei mit Stimmen aus der Wallonie den finanziellen Verlust in Flandern zumindest etwas auffangen.
Andere Beobachter glauben, dass sich die N-VA mit ihren Stimmen aus der Wallonie als mögliche Regierungspartei in eine bessere Stellung bringen möchte. Sollte die Partei zumindest einen Achtungserfolg in der Wallonie verbuchen, dann könnte das als eine größere Legitimität angesehen werden, in einer Föderalregierung mitzuregieren.
Außerdem könnte die N-VA auch sagen: Seht her, unsere Vorstellungen von noch mehr Kompetenzen, die an die Regionen übertragen werden, also von diesem Konföderalismus, wie man das ja nennt, finden auch einige Wallonen gut. Lasst uns doch mal drüber sprechen. Aber es bleibt letztlich dabei: Eine Partei, die in einem Landesteil antritt, von dem sie sich eigentlich trennen will - das bleibt in gewisser Weise ein Paradox.
Wie begründet die N-VA selbst diesen Schritt?
Es gibt die Aussagen von Parteichef Bart De Wever, als er im März den ersten N-VA-Kandidaten in der Wallonie mit präsentierte. Da sagte De Wever: Wir wollen eine neue politische Alternative in der Wallonie sein. Aktuell könne sich der Wähler in der Wallonie nur zwischen den Parteien der aktuellen Vivaldi-Koalition entscheiden oder die Kommunisten wählen. Was doch eine ziemlich kleine Wahl sei, wie De Wever findet.
Bei seinen Überlegungen vergisst De Wever im Grunde Les Engagés, die weder Kommunisten sind noch in der aktuellen Vivaldi-Regierung mitregieren. Aber vielleicht stufte De Wever Les Engagés im März als noch zu unbedeutend ein.
Mit welchen inhaltlichen Programmpunkten will die N-VA in der Wallonie Stimmen gewinnen?
Die N-VA stellt sich als wirtschaftsfreundliche Mitte-Rechts-Partei dar, die dabei helfen will, die Wirtschaft in der Wallonie wieder in Schwung zu bringen. Damit bietet sich die N-VA ganz bewusst als Alternative zur MR an. Laut De Wever hat die MR nämlich innerhalb der Vivaldi-Regierung versagt.
De Wever sagte dazu im März: "Die MR hat das größte Defizit von Europa nicht verhindert. Sie hat auch nicht verhindert, dass Menschen, die sich illegal in Belgien aufhalten, nicht aus dem Land verwiesen werden. Sie hat nicht die Zerstörung unseres Energieparks verhindert. Es gibt kein Argument mehr, um zu sagen: Die MR ist ein Trumpf des Mitte-Rechts-Spektrums in der Wallonie." Der neue Trumpf des Mitte-Rechts-Spektrums in der Wallonie soll jetzt vielmehr laut De Wever die N-VA werden.
Warum will die N-VA die MR schwächen und nicht die PS, die eigentlich der große Gegner ist?
Beobachter sagen: Die PS ist der N-VA deshalb lieber, weil die PS in der Wallonie auch eher den Bezug zur Region sieht und die N-VA daher mit der PS besser eine konföderale Politik umsetzen könnte als mit der MR. Die MR verfolge eher einen nationalen, belgischen Blick auf die Dinge.
Außerdem muss man auch sehen: In Flandern kann die N-VA eigentlich ganz gut mit der flämischen Schwesterpartei der PS, den flämischen Sozialisten von Vooruit. Zum Beispiel regiert De Wever in Antwerpen ja auch zusammen mit Vooruit. Aber es bleibt letztlich dabei: Diese Kandidaten der N-VA in der Wallonie bleiben - egal wie man es dreht - eine etwas unverständliche Sache. Auch politische Beobachter und Politologen verstehen nicht ganz, welche Überlegungen tatsächlich dahinter stehen.
Welche Chancen werden der N-VA in der Wallonie eingeräumt?
Allgemein werden der N-VA wenig Aussichten eingeräumt, Abgeordnete aus der Wallonie in die Kammer entsenden zu können. Dafür müsste die N-VA die Fünf-Prozent-Hürde knacken, die in einem Wahlkreis überschritten werden muss. Vielleicht klappt das hier und da, vielleicht aber auch nicht.
Der Kandidat in Wallonisch-Brabant hat mal vom Ziel von drei bis fünf Sitzen gesprochen. Parteichef Bart De Wever dagegen hat keine Zahl genannt. Er meinte, dass das auch nicht unbedingt das Ziel sei. Sondern man vor allem die Debatte in der Wallonie anstoßen wolle. Mehr als Außenseiterchancen werden den N-VA-Kandidaten deshalb nicht eingeräumt.
Und vielleicht noch zur Klarstellung: Die N-VA stellt nur Listen für die Föderalwahl auf. Ins wallonische Parlament kann man die N-VA nicht wählen.
Kay Wagner