Im Vergleich zum letzten Wahlgang vor fünf Jahren treten diesmal wesentlich weniger Parteien an. Zwölf Parteien (2019: 23) wollen im Wahlkreis Lüttich ins Föderalparlament gewählt werden. Im Wahlkreis Verviers stehen acht Parteien (2019:16) auf dem Wahlzettel.
Défi
Défi ist die größte unter den kleinen Parteien und sicher werden die Parteibosse von Défi beleidigt sein, wenn man Défi nicht zu den großen Parteien hinzuzählt. In Brüssel und auch im Föderalparlament mischt Défi nämlich tatsächlich mit. Vier der 19 Brüsseler Stadtgemeinden haben einen Bürgermeister mit Parteibuch bei Défi. Im Föderalparlament ist Défi immerhin mit zwei Abgeordneten vertreten. Im wallonischen Parlament stellt sie hingegen keinen Abgeordneten.
Hier wird das Problem von Défi schon deutlich: Die Partei hat es bislang nicht geschafft, über Brüssel hinaus wirklich zu überzeugen.
Défi ist eine Partei der Mitte und definiert sich selbst als liberal-sozial. Die Vorgängerpartei hieß FDF. Die FDF war bis 2010 verbunden mit der liberalen MR. Als Sprachpartei war sie in Brüssel 1964 gegründet worden, um die Anliegen der frankophonen Menschen in Brüssel zu vertreten.
Um dieses Anliegen geht es Défi heute nicht mehr. Tatsächlich könnte sie als eine Partei der aufgeklärten Mitte bezeichnet werden. Im Wahlprogramm setzt sich Défi für einen gestärkten Föderalstaat ein, der laizistisch geprägt sein soll, bei dem das freie Unternehmertum nicht durch zu viele Gesetze und Auflagen eingeschränkt wird, in dem aber auch das Soziale seinen Platz haben muss. Erneuerbare Energien findet Défi genauso wichtig wie Investitionen in die neusten Technologien der Atomenergie.
Parteichef François De Smet sorgt in der Kammer durch Wortmeldungen regelmäßig für Sichtbarkeit der Partei auf föderaler Ebene. Ein Streit mit seinem Vorgänger Olivier Maingain hat vor einigen Wochen die Chancen für Défi sicher nicht gesteigert, bei den kommenden Wahlen deutlich zuzulegen.
Collectif Citoyen
Nicht als Partei sondern als Bewegung bezeichnet sich das Collectif Citoyen, also das Bürgerkollektiv. Die Kernforderung dieser Bewegung ist mehr Bürgerbeteiligung in der Politik.
"Ändern wir die Methode, wagen wir die Demokratie. Lasst uns den Bürger zentral setzen für die Schaffung einer wahrhaftig partizipativen Demokratie", lautet der Slogan der Bewegung.
Bürger-Referenden, mehr Transparenz in der Politik, mehr Hilfe für die Schwachen der Gesellschaft - das sind einige der Forderungen aus den 22 Prioritäten, die das Bürgerkollektiv für die Wahlen formuliert hat. Außerdem fordert es, die Abhängigkeit von China zu verringern und die Einwanderung besser zu regulieren. Das Kollektiv zeigt sich skeptisch gegenüber multinationalen Unternehmen und zu großer autoritärer Macht von internationalen Organisationen wie der Nato, aber auch der EU und sogar der nationalen und regionalen Parlamente.
Bei den Wahlen 2019, bei denen das Kollektiv erstmals antrat, erreichte es im Wahlbezirk Lüttich 1,2 Prozent der Stimmen. Im nationalen Endergebnis kam das Collectif Citoyen auf 0,3 Prozent der Stimmen. Für das Regionalparlament der Wallonie kann man das Kollektiv nicht wählen.
RMC
Eine weitere Bürgerbewegung mit ähnlichen Anliegen wie das Collectif Citoyen nennt sich RMC - Reprise en main citoyenne. Zu deutsch heißt dies so viel wie "Die Bürger nehmen die Sache wieder in die Hand". Gegründet wurde RMC erst Anfang des Jahres von dem Lütticher Arzt und Philosophen Michel Bureau. Er schlägt vor, das politische System grundlegend neu zu ordnen und dadurch die Bürger wieder mehr für Politik zu interessieren.
Eine "halb direkte Demokratie" nennt er seine Alternative. Herzstück davon ist ein Parlament, in dessen erster Kammer Bürger sitzen und in der zweiten Kammer Experten. Sie zusammen haben das Initiativrecht. Ein Rat der Weisen kontrolliert das Parlament, aus dem Parlament heraus wird die Regierung gebildet.
RMC schlägt also einen Bruch mit dem bestehenden Parteiensystem vor. Deshalb will Gründer Bureau seine Bewegung auch weder rechts noch links noch in der Mitte des politischen Spektrums verorten. RMC ist nicht in allen Wahlkreisen zu wählen, tritt aber sowohl bei den Föderal- als auch den Regionalwahlen an.
Belg. Unie BUB
Belg. Unie BUB - so wird die Belgische Unie-Union Belge BUB auf den Wahlzetteln genannt. Die 2002 gegründete Partei will den Föderalstaat mit seinen Regionen und Sprachgemeinschaften abschaffen und Belgien zu einem Einheitsstaat formen. Belgien soll wieder unitär werden, wie es früher schon einmal war. Eine starke, nationale Regierung soll in fast allen Bereichen für alle Belgier gleich entscheiden. In dieser Regierung sollen alle drei Sprachgruppen des Landes vertreten sein. Die Monarchie soll erhalten bleiben.
BUB wird als Partei dem Mitte-Rechts-Spektrum zugeordnet. Konkrete Vorschläge zur Gestaltung der Tagespolitik sind auf der Internetseite der Partei unter dem Stichwort Wahlen 2024 nur in Ansätzen zu finden. Im Fernsehen der RTBF durfte die Partei sich Ende April relativ ausführlich präsentieren. Dabei wurden auch die Zuschauer gefragt, was sie von dieser Idee des einheitlichen Belgiens halten. 82 Prozent fanden das gut. Bei Wahlen bekommt die Partei trotzdem nie viele Stimmen. 2019 waren es im nationalen Ergebnis nur 0,1 Prozent.
Chez Nous
Chez Nous - Bei uns - heißt die noch junge Partei, die diesmal versucht, im frankophonen Belgien eine rechtsextreme Partei zu etablieren. 2022 wurde sie gegründet von vor allem ehemaligen Mitgliedern der MR und der beiden früheren rechtsextremen Parteien in der Wallonie, PP und Liste Destexhe. Chez Nous wird sowohl vom Vlaams Belang als auch von der PVV des niederländischen Rechtsextremen Geert Wilders unterstützt. Mit dem französischen Rassemblement National von Marine Le Pen gab es zwar im Mai einen juristischen Streit, doch inhaltlich liegen auch diese beiden Parteien eng beieinander: Nationalistisch christlich-identitär, rassistisch und fremdenfeindlich - so beschreiben Politologen das Programm von Chez Nous.
Kay Wagner