Ecolo ist ein klassisches Beispiel für eine sogenannte "Jo-Jo-Partei": Auf beeindruckende Hochs folgen fast schon automatisch brutale Abstürze – normalerweise nach einer Regierungsbeteiligung. Bei der letzten Wahl war Ecolo eine echte "grüne Welle" gelungen – dadurch konnten die frankophonen Grünen in den letzten Jahren überall mitregieren, wo das möglich war. Dafür könnten sie jetzt aber die Rechnung präsentiert bekommen.
Laut Umfragen könnte Ecolo in der Kammer über zwei Drittel seiner Sitze verlieren. Bei den flämischen Grünen geht es auch abwärts, insgesamt droht mehr als eine Halbierung der Grünen-Fraktion. In der Wallonie und in Brüssel ist die Prognose nicht ganz so schlimm, aber immer noch schlicht katastrophal aus Sicht von Ecolo.
Eine wenig beneidenswerte Situation so kurz vor der Wahl. Aber die Partei versucht, diesen Schock zu nutzen, um ihre Basis zu mobilisieren. Beim letzten Mal hätten die Umfragen auch nicht gestimmt, verbreitet die Ecolo-Spitze wiederholt demonstrativ Zuversicht. Ecolo habe es selbst in der Hand, die Umfragen Lügen zu strafen, gibt sich Co-Präsident Jean-Marc Nollet kämpferisch. Jetzt gehe es erst richtig los.
Werben um Wechselwähler
Die meisten Wähler entschieden sich erst in der letzten Woche für eine Partei, um nicht zu sagen in den letzten Tagen. Ecolo setzt auf der Zielgeraden also auf die noch Unentschlossenen, nicht zuletzt auch gerade auf junge und weibliche Wähler. Aber die Grünen fischen in einem Teich, in den auch diverse andere Parteien ihre Angel halten. Im linken frankophonen Spektrum findet man auch PS und PTB. Dann sind da noch in der Mitte Les Engagés, die wiederauferstandene ehemalige CDH. Gerade von der CDH waren bei der letzten Wahl viele Wähler zu Ecolo übergelaufen. Und diese Wechselwähler könnten sich Les Engagés nun zurückholen. Und es hilft natürlich auch nicht, dass quasi jede Partei das Thema "Umwelt" in der einen oder anderen Form ebenfalls für sich entdeckt hat.
In ihrem Wahlkampfslogan erheben Ecolo aber trotzdem den Anspruch, für die Zukunft zu stehen. Ecolo wolle eine ökologische, aber auch solidarische Wende, hebt Nollet hervor. In anderen Worten: eine grünere und gerechtere Zukunft.
"Gerechter" bedeutet für Ecolo immer auch den Kampf gegen jegliche Form der Diskriminierung. Aber zum Beispiel auch eine teilweise Umverteilung der Lasten und des Reichtums.
Höhere Steuern
Dazu gehört: Die Anhebung der niedrigsten Einkommen um bis zu 300 Euro netto pro Monat, auch die mittleren Einkommen sollen profitieren. Natürlich werde das etwas kosten, aber Menschen ein würdiges Leben zu ermöglichen, das sei eine budgetäre Priorität für Ecolo. Finanzieren sollen das vor allem die, die nach Ansicht von Ecolo dem angestrebten Gesellschaftsmodell schaden: Die Grünen wollen also Vermögen besteuern und Kapitalgewinne und Spekulieren an der Börse.
Das föderale Planbüro bestätige auch, so Ecolo-Föderalminister Georges Gilkinet, dass die von den Grünen gewollte Steuerreform den Reichtum am besten umverteile im Vergleich zu den anderen Parteien. Und dass die Besteuerung der reichsten zwei bis drei Prozent der Bevölkerung ausreiche, um alle Vorhaben zu finanzieren.
Mehr Investitionen
Was den "grünere Zukunft"-Aspekt angeht, betont Ecolo vor allem seinen Gegensatz zu unter anderem den Liberalen: Die wollten Austerität und auf den berüchtigten "Pausenknopf" drücken oder sogar den Rückwärtsgang einlegen. Ecolo hingegen wolle die Wende sogar beschleunigen und bestehe auf weitere umfangreiche Investitionen. Natürlich in erneuerbare Energiequellen, aber auch beispielsweise in eine Förderung von öffentlichen Verkehrsmitteln und den Ausbau von Fahrrad-Infrastruktur. Und ganz besonders auch in eine massive Kampagne für eine bessere Isolierung des Wohnraums. Denn das komme nicht nur der Umwelt zugute, sondern sorge auch dafür, dass die Menschen mehr Geld im Portemonnaie behielten und trage zu einer besseren Volksgesundheit bei.
Der 9. Juni sei in gewisser Weise also ein Referendum, unterstreicht unter anderem Regionalministerin Céline Tellier. Ein Referendum über Naturschutz und die Zukunft der Menschheit.
Boris Schmidt