Es ist Anfang 2022, eigentlich will Belgien aus der Atomenergie aussteigen - aber dann überfällt Russland die Ukraine und stürzt die Welt in eine fast beispiellose Energiekrise. Daraufhin beschließt die Föderalregierung den zumindest temporären und stückweisen Ausstieg vom Ausstieg: Die zwei jüngsten Atomreaktoren des Landes sollen doch noch zehn Jahre länger in Betrieb bleiben.
Aber bekanntermaßen gehören zu so einem Spiel immer zwei, in diesem Fall noch der Betreiber der belgischen Atomkraftwerke, der französische Energiekonzern Engie. Und damit ist der Startschuss für den Verhandlungsmarathon gegeben. Beide Seiten hätten ihre jeweiligen Interessen hart verteidigt, erklärte Engie-Electrabel-Geschäftsführer Thierry Saegeman in der VRT. Und das sei angesichts des Einsatzes ja wohl normal, schließlich gehe es um sehr viel Geld und sehr ernste Folgen bei einem Scheitern der Gespräche.
Dass es hart auf hart ging, bestätigte auch die föderale Energieministerin Tinne Van der Straeten. Die Regierung habe sich vorgenommen, ein möglichst gutes Ergebnis für alle Belgier herauszuholen, deswegen sei über alle Punkte bis zum Schluss verhandelt worden.
Im Juni 2023 haben sich Regierung und Engie dann zumindest grundsätzlich geeinigt und ein "No way back agreement" geschlossen. Wie der Name nahelegt, gibt es ab da also nur noch eine Marschrichtung: vorwärts, zur Übereinkunft in ihrer ausgearbeiteten und endgültigen Form.
Am Dienstagabend gab es dann grünes Licht dafür vom föderalen Kernkabinett. Nach einem letzten Kampf gegen einen widerspenstigen Füller war es am Mittwoch kurz vor Mittag vollbracht: Premierminister Alexander De Croo, Energieministerin Van der Straeten und Engie-Electrabel-Geschäftsführer Saegeman haben den Vertrag unterzeichnet.
2.800 Seiten
Wobei das eigentlich eine Untertreibung ist für so ein Mammutwerk, wie De Croo erklärte. Insgesamt rede man hier über acht unterschiedliche Verträge, drei Gesetzestexte und einen Königlichen Erlass - zusammengenommen 2.800 Blattseiten.
Das allerletzte Wort ist noch nicht gesprochen: Jetzt muss das unterzeichnete Abkommen nämlich auch noch grünes Licht vom Staatsrat und von Europa bekommen. Und das wird sich voraussichtlich noch etwas hinziehen: Wirklich rund soll der Deal erst gegen Ende 2024 sein. Die Energieministerin gab sich aber zuversichtlich. Stand jetzt sei man exakt im Zeitplan, damit Doel 4 und Tihange 3 dabei helfen könnten, die versorgungstechnisch kritischen Winter 2025 und 2026 zu überstehen.
Der Premierminister nutzte die Gelegenheit aber auch, um erneut auf den belgischen Energiemix zu verweisen. Die Regierung habe am Dienstag beschlossen, die Windparks auf der Nordsee stark auszubauen. Erneuerbare Energiequellen machten einen sehr großen Teil des nationalen Energiemixes aus. Aber Atomenergie gehöre eben auch dazu, um einen Ausstieg aus den fossilen Energieträgern zu erlauben.
Der Engie-Electrabel-Geschäftsführer hob derweil weitere sozioökonomische Vorteile des Deals hervor. Das sichere insgesamt 4.000 Arbeitsplätze, so Saegeman. Und man werde sogar 200 neue Mitarbeiter einstellen.
Die Übereinkunft betrifft aber nicht nur den Weiterbetrieb der Reaktoren, sondern auch den Umgang mit den strahlenden Hinterlassenschaften. So sind die Kosten für den Rückbau der alten Anlagen auf acht Milliarden Euro festgelegt worden. Für die Lagerung von nuklearem Abfall muss Engie 15 Milliarden Euro in einem speziellen Fonds bereitstellen, der unter Kontrolle der Kommission für Nuklearanlagen kommt. Dieses Geld könne weder von Regierungen, noch von Engie für andere Zwecke eingesetzt werden, unterstreicht Energieministerin Van der Straeten.
Boris Schmidt
Soviel ich weiss ist doch noch immer ein Gesetz in Kraft welches den Atomausstieg besiegelt. So gesehen ist das Abkommen mit Engie doch gesetzeswidrig, oder?
Ganz abgesehen davon dass diese Verlängerung keineswegs reicht um unsere Stromversorgung zu sichern.
Der beschwerliche Marsch zurück in die Wirklichkeit hat begonnen.