Mehr als zwei Jahre lang haben die europäischen Wirtschafts- und Finanzminister schon an der Reform der EU-Haushaltsregeln gebastelt. Auch wenn die offizielle Einigung noch aussteht, sind die groben Linien bekannt: Das Haushaltsdefizit jedes Mitgliedslandes, also die Neuverschuldung, soll wieder auf drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) begrenzt werden und die Staatsschulden auf 60 Prozent des BIP. Länder, deren Neuverschuldung aktuell über drei Prozent liegt, sollen das Defizit pro Jahr mindestens um 0,5 Prozent des BIP abbauen müssen. Mit anderen Worten: Nachdem die Regeln wegen Covid- und Energiekrise seit 2020 gelockert waren, soll nun wieder gespart werden.
Diese mögliche Rückkehr zur berüchtigten "Austeritätspolitik" halten die Gewerkschaften aber für gefährlich und kontraproduktiv, wie Marie-Hélène Ska von der christlichen Gewerkschaft im Interview mit der RTBF erklärt. Die strenge Sparpolitik sei die Gesellschaft seit der Einführung in den 1990er Jahren bereits teuer zu stehen gekommen, zählt Ska auf - von der Reduzierung des öffentlichen Dienstes über tiefe Einschnitte bei der Justiz und schlechtere Gesundheitsversorgung bis zu den heutigen Problemen im Unterrichtswesen.
Wenn sich Belgien wieder streng an ein Haushaltsdefizit von drei Prozent halten müsse, dann bedeute das, dass die nächste Regierung zwischen 24 und 28 Milliarden Euro einsparen müsse in den kommenden vier bis sieben Jahren.
Mangelnder Spielraum für die Zukunft
Daneben beklagen die Gewerkschaften aber vor allem auch mangelnden Spielraum für die Zukunft. Die von der EU festgelegten Quoten erlaubten weder ausreichende Investitionen in die Energie- und Klimawende, noch in den öffentlichen Dienst, so Ska. Außerdem berücksichtigten die vor rund 30 Jahren ziemlich willkürlich festgelegten Schuldengrenzen auch nicht die Herausforderungen der Zukunft: Neben Kohlenstoffneutralität müsse man in den kommenden Jahrzehnten beispielsweise auch noch die Digitalisierung angehen und die Künstliche Intelligenz.
Die Gewerkschaften wollten aber weder die Notwendigkeit von Haushaltsregeln infrage stellen noch die einer europäischen Koordination, betont Ska. Schließlich teile man sich einen Währungsraum. Immer mehr Schulden zu machen, um sie an künftige Generationen weiterzugeben, sei auch keine gute Idee. Haushaltsdisziplin sei also nötig. Gleichzeitig müsse aber auch endlich mit dem Tabu gebrochen werden, dass es keine neuen Steuern geben dürfe. Dabei hat Ska vor allem die sogenannten "großen Vermögen" im Visier, sprich eine nationale Steuerreform. Aber sie spricht auch von zusätzlichen Steuern auf europäischem Niveau, damit "nicht bestimmte Regionen links liegen gelassen" würden bei Investitionen in die Zukunft.
Was auf keinen Fall sein dürfe, das seien Szenarios, in denen sich nur wirtschaftsstarke Länder wie Deutschland Spielräume erlauben dürften. Wenn hingegen andere Länder wie Belgien oder in Osteuropa da nicht mithalten könnten, dann führe das zu einem Niedergang Europas, das habe die Vergangenheit gezeigt und das wolle man auch nicht, so Ska.
Boris Schmidt
Selbst Gewerkschaften müssen einsehen, dass Schulden zurück gezahlt werden müssen. Ständig neue Schulden machen, ist keine Lösung. Das ist Vogel-Strauss-Politik.
Die einzig praktisch denkbare Lösung wäre eine Umschuldung der Staatsschulden, dh eine Laufzeitverlängerung mit kleineren Raten. So kann man sich Freiraum verschaffen. Gleichzeitig müssten alle Ausgaben auf den Prüfstand und der Staat müsste sich auf die notwendigen Ausgaben beschränken, dh Verteidigung, soziale Sicherheit.