Die Sitzung fing wegen des überraschenden Besuchs des ukrainischen Präsidenten Selenskyj deutlich später als geplant an. Als es dann endlich losging, bekam der Sprecher der größten Fraktion in der Kammer, Peter De Roover von der N-VA, als Erster das Wort. Ohne Manuskript ging De Roover hinter das Rednerpult, verurteilte zunächst die Gewalt von Hamas in Israel, ermahnte daran, in diesem Konflikt nicht mit zwei Zungen zu sprechen, und plauderte dann los.
Eine halbe Stunde durfte er reden. Gleich am Anfang fasste er das zusammen, was er im Folgenden mit zahlreichen Beispielen aufzuzeigen versuchte. "Herr Premier", fing er an. "Sie haben in ihrer Rede gestern auch gewarnt vor Fake-News und Falschmeldungen. Diese Worte werde ich nicht wählen, weil sie ziemlich heftig sind. Aber trotzdem habe ich den Eindruck, dass sich gestern so etwas ähnliches wie ein roter Faden durch ihre Rede gezogen hat. Ich will es mal Irreführung nennen."
Denn De Croo hätte nur über das gesprochen, was die Regierung getan habe. Aber nicht über das, was die Regierung nicht getan habe und schief gelaufen sei. Und da gäbe es einiges zu nennen. Kein Wort nämlich über eine Steuerreform, eine umfassende Arbeitsmarktreform oder auch eine politische Erneuerung. Alles immerhin Kernpunkte des Koalitionsvertrags. "An allen Fronten, die entscheidend sind, um unser Land fit für die Zukunft zu machen, haben Sie versagt, Herr Premier."
Selbst bei den einzelnen Punkten, die De Croo gestern als Erfolgsgeschichte dargestellt hatte, sei nicht immer alles so wie von De Croo gesagt. Die Steuer für Banken? Schön und gut, aber jetzt müssten die Sparer wohl dafür zahlen, weil die Banken viel Geld an den Staat abdrücken müssen. Geld, das sie sonst wohl den Sparern über Zinsen gegeben hätten.
300.000 neue Arbeitsplätze? Da habe De Croo als Vergleichszahl den Tiefpunkt aus der Corona-Zeit genommen. Um Erfolge vernünftig zu messen, müssten Vergleichszahlen aber aus der Zeit vor Corona herangezogen werden. Und dann verringere sich die Zahl der neuen Arbeitsplätze erheblich, falle nur noch fünfstellig aus.
Flexi-Jobs als Jobmotor? "Im Einzelnen ist ein Flexi-Job sicher bedeutsam für den Betroffenen", gab De Roover zu. "Aber ein Flexi-Job schafft keinen einzigen Arbeitsplatz. Keinen einzigen. Null." So ging es weiter mit anderen Beispielen. Bis hin zu der Behauptung von De Croo, alles gehalten zu haben, was die Regierung versprochen habe.
Höhnisch sagte De Roover: "Ja, Sie haben alle Versprechen gehalten! Steht in ihrem Koalitionsvertrag nichts von Staatsstruktur? 'Im Verlauf von 2024 wird eine neue Staatsstruktur umgesetzt', steht wörtlich in diesem Koalitionsvertrag. Hat jemand davon etwas gesehen? Hat jemand davon etwas gesehen bei dem Premierminister, der sagt, dass er alles eingelöst habe, was er versprochen hat?"
De Roover erfüllte mit solcher Kritik perfekt seine Funktion als Oppositionsführer. Süffisant rechnete er mit der Regierung ab. Dann war seine Zeit um. Die Grünen bekamen das Wort. Und hier hörte sich alles schon wieder anders an. Auch das ohne Überraschung.
Kay Wagner
Von Decroo war nicht mehr zu erwarten. Seine Leistung besteht darin, dass schlimmste verhindert zu haben.
Durchgreifende Reformen sind da unmöglich. Da müsste sich die komplette politische Kultur und das Staatsgefüge ändern.