Man traute kaum seinen Ohren, je länger man Ursula von der Leyen heute zuhörte. Da stand die mittlerweile 64-Jährige am Rednerpult im weiten Rund des Straßburger Europaparlaments und tat gerade so, als ob alle Schwarzmalerei und negatives Denken über die EU einfach fehl am Platz sei.
Vielmehr feuerte von der Leyen ein Feuerwerk an positivem Denken und Zuversicht mit Blick auf die Zukunft ab. Angefangen vom ersten bis zum letzten Thema ihrer gut einstündigen Rede.
Einer der ersten Punkte war die Lage der europäischen Industrie. Da werde die EU in Zukunft dafür sorgen, dass wieder viel mehr Produkte gerade im High-Tech-Bereich in Europa selbst produziert werden. Von der Leyen zeigte sich wehrhaft auch mit Blick auf den großen Wirtschaftskonkurrenten China.
Um Einigkeit bemüht
Gerade in der Autoindustrie droht China den europäischen Markt ja bald mit preiswerten E-Autos zu überfluten. Laut von der Leyen seien diese Autos aber nur deshalb so preiswert, weil der chinesische Staat seine Autohersteller subventionieren würde. In Europa sei das nicht machbar. Weshalb von der Leyen ankündigte, dass die EU-Kommission diese Subventionen nachweisen und auf dem europäischen Markt sanktionieren werde.
Die EU also nach außen hin wehrhaft und nach innen um Einigkeit bemüht. Das sollte zumindest das Ziel sein. Dialog statt Konfrontation - das war das immer wieder kehrende Credo der Kommissionspräsidentin.
Dialog zwischen Industrie, Verbrauchern und Politikern, um den technologischen Wandel zu einer CO2-neutralen Gesellschaft im Einklang hinzubekommen. Dialog auch zwischen moderner Landwirtschaft und Naturschutz. "Ich bin und bleibe davon überzeugt, dass Landwirtschaft und Naturschutz zusammen gehen können."
Dialog ebenfalls zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Gemeinsam müssten sie die aktuellen Herausforderungen des Arbeitsmarktes lösen. In Europa herrsche quasi Vollbeschäftigung, Fachkräfte würden überall gesucht, müssten auch von außen kommen können. Technischer Wandel würde neue Herausforderungen an Arbeitgeber und Arbeitnehmer stellen.
Um diese Probleme des Arbeitsmarktes zu lösen, hätte vor fast 40 Jahren der damalige Kommissionspräsident Jacques Delors den europäischen Sozialdialog ins Leben gerufen. In Val Duchesse, in Belgiens Hauptstadt Brüssel. Diese Tradition wolle sie wiederbeleben, kündigte von der Leyen an.
"Gemeinsam mit der belgischen Ratspräsidentschaft", sagte sie wörtlich, "werden wir nächstes Jahr einen neuen Gipfel der Sozialpartner organisieren, erneut in Val Duchesse. Die Zukunft von Europa wird mit und von den Sozialpartnern gestaltet werden. Das ist unser Ziel."
Erweiterung der EU: Neue Mitgliedstaaten
Tatsächlich wird Belgien im ersten Halbjahr des kommenden Jahres die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen - und damit die letzten Monate der Amtszeit von von der Leyen mit gestalten. Zusammen mit Belgien will die CDU-Politikerin dann auch noch ein anderes Thema vorantreiben. Nämlich die mögliche Erweiterung der EU um neue Mitgliedstaaten. Die Balkanstaaten, Georgien und fast schon natürlich die Ukraine nannte von der Leyen als konkrete künftige Partner in einer EU, die sie als "30 plus" bezeichnete. Und auch hier strahlte von der Leyen Optimismus aus.
"Wir haben bewiesen", sagte sie, "dass wir eine geopolitische Union sein und schnell handeln können, wenn wir geeint sind. Und ich glaube, dass das Team Europa auch als 30 plus funktionieren wird."
Eine Erweiterung der EU sei allerdings nicht denkbar ohne eine Vertiefung der Zusammenarbeit, das unterstrich von der Leyen auch. So sei es immer schon gewesen. Dazu gebe es auch schon Ideen in der Kommission.
"Wir werden unsere Ideen den europäischen Staats- und Regierungschefs während der belgischen Ratspräsidentschaft vorlegen", sagte von der Leyen. "Wir werden dabei der Überzeugung folgen, dass die Vervollständigung unserer Union die beste Investition in Frieden, Sicherheit und Wohlstand für unseren Kontinent sein wird. Es ist Zeit für Europa, unser Schicksal wieder einmal groß und weit zu denken."
Reynders unterstützt von der Leyens Pläne zu China und EU-Erweiterung
Kay Wagner