Es gibt wohl kein verminteres Gelände als die Rentenproblematik. Auf der einen Seite weiß jeder, dass das System unbezahlbar ist. Auf der anderen Seite fühlt sich aber jede Korrektur für die jeweils Betroffenen an wie eine schreiende Ungerechtigkeit. Entsprechend war die Minidebatte am Nachmittag in der Kammer inhaltlich doch schon sehr vorhersehbar.
Die Föderalregierung hatte am Montagmorgen für manche etwas überraschend eine Rentenreform präsentiert. Wobei schnell klar wurde, dass sie da keine Revolution ausgebrütet hatte, sondern dass es sich eher um eine Reihe von zum Teil ergänzenden, zum Teil korrigierenden Maßnahmen handelte. "Die aber für die jeweils Betroffenen sehr wichtig sein können", betonten Abgeordnete der Mehrheit.
Vor allem zwei Punkte hoben die Vertreter der Regierungsparteien hervor. Erstens "Wir sorgen dafür, dass Menschen, die freiwillig später in den Ruhestand gehen, mit einem Pensionsbonus in Höhe von 22.600 Euro belohnt werden", betonte etwa Nahima Lanjri von der CD&V. "Zu arbeiten muss sich lohnen."
Anderer Punkt, den die Mehrheitsfraktionen immer wieder hervorhoben: Über eine Reihe von korrigierenden Maßnahmen soll dafür gesorgt werden, dass Frauen gerechter behandelt werden, indem etwa der Zeit für die Erziehung der Kinder oder das Pflegen eines Angehörigen Rechnung getragen wird, denn darum kümmern sich eben in der Regel Frauen, und sie wurden dafür bislang de facto gestraft.
"Eher ein Reförmchen"
Die Opposition ließ dennoch kein gutes Haar an der Reform der Vivaldi-Koalition. "Es ist genau das passiert, was wir befürchtet haben", sagte etwa Maxime Prévot von Les engagés: "Der Berg kreißte und gebar eine Maus. Das Ganze ist allenfalls ein Reförmchen."
François De Smet von Défi sah das genauso. Jeder wisse doch, dass das Rentensystem so nicht überlebensfähig ist. "Und wieso ist es in diesem Land eigentlich unmöglich, langfristige Reformen durchzuziehen? Das Problem ist seit mindestens 30 Jahren bekannt." "Und was machen Sie stattdessen?", wetterte der N-VA-Abgeordnete Wim Van der Donckt. "Sie reichen die Rechnung dann doch einfach wieder durch an die nächste Generation."
Man müsse sich aber auch mal die Habenseite anschauen, erwiderte sinngemäß Premierminister Alexander De Croo. Diese Regierung habe mehr zustande gebracht als viele ihrer Vorgängerinnen, sagte De Croo - zumindest wenn man sich die Summe der Maßnahmen anschaue, die in diesem Bereich getroffen wurden. Zum Beispiel hätten wirklich alle Parteien im letzten Wahlkampf für eine Anhebung der Mindestrenten plädiert. Und das natürlich auch völlig zu Recht. "Nun, wir haben das gemacht."
Für die marxistische PTB ist das immer noch viel zu wenig. Die Reform sei völlig unzureichend: Das Renteneintrittsalter bleibe bei 67 Jahren, die Menschen müssten immer noch länger arbeiten, beklagte Gaby Colebunders.
Nicht die letzte Reform
Man kann es wirklich niemandem recht machen, so denn auch das Fazit von Pensionsministerin Karine Lalieux: Die einen fordern de facto, dass man die Renten der Menschen kürzt. Und für die anderen darf man bloß nichts verändern. Sie sei jedenfalls froh und zufrieden, sagte die PS-Ministerin. Froh für die Rentner, froh für die arbeitende Bevölkerung, zufrieden, weil man eine angemessene Pension und ein überlebensfähiges System garantiere.
"Wie bitte? Überlebensfähig?", echauffierten sich aber nicht nur Abgeordnete aus der Opposition. Premier De Croo hatte vorher auch schon eingeräumt, dass das nicht die letzte Rentenreform sein könne. In dem Punkt scheinen sich fast alle einig zu sein.
Warum seine Regierung das nicht anpacke? Nun, weil man gerade in diesem sensiblen Bereich nur Schritt für Schritt vorgehen könne. Man müsse halt die Menschen mitnehmen, dürfe sie jedenfalls nicht vor vollendete Tatsachen stellen.
Roger Pint