Nicht wenige hatten Schlimmes befürchtet. Der für Belgien so wichtige Prozess zu den Anschlägen vom 22. März 2016 - fast niemand hätte wohl am Beginn seine Hand dafür ins Feuer gelegt, dass er bis Donnerstag so relativ reibungslos abgelaufen ist. Zumal der Start alles andere als reibungslos verlaufen war.
Sanne De Clerck, Anwältin der Opfervereinigung V-Europe, zeigte sich am Donnerstagabend deshalb auch erleichtert gegenüber der VRT: "Wegen des sehr holprigen Starts waren wir sehr vorsichtig bei unseren Erwartungen. Aber im Verlauf ist der Prozess dann doch in die richtigen Bahnen gekommen".
Prozessbeginn holprig
Diskussionen um die Glasboxen, in denen die Angeklagten während der Anhörungen sitzen sollten und deren Demontage verzögerten den Start des Prozesses um mehrere Wochen. Dann Vorwürfe einiger Angeklagter, von Polizisten misshandelt zu werden. Die Weigerung einiger, sich überhaupt zur Anhörung aus dem Gefängnis ins ehemalige Nato-Hauptquartier in Brüssel fahren zu lassen, prägten die ersten Wochen und machten den Beginn des Prozesses tatsächlich holprig.
Erleichterung deshalb am Donnerstagabend auch bei Presserichter Luc Hennart: "Wir können uns zunächst einmal freuen", sagte er, "dass wir diesen Teil des Prozesses abgeschlossen haben. Die Jury-Mitglieder ziehen sich heute Abend zu ihren Beratungen zurück. Das ist doch eine fantastische Herausforderung gewesen".
Vor Prozessbeginn hatten viele Zweifel, ob ein Geschworenenprozess überhaupt die richtige Form sei, diesen Prozess zu führen. Furcht, dass nicht genügend Geschworene die sieben Monate des Prozesses durchhalten würden, um am Ende genügend Jury-Mitglieder zu haben, die ein Urteil fällen können. Als dann ziemlich rasch die erste stellvertretenden Jury-Mitglieder zurücktreten mussten, wurde diese Angst noch größer. Letztlich ohne Grund: Von den zwölf Geschworenen sind alle noch an Bord, von den ursprünglich 24 Stellvertretern immerhin noch 15.
"Sie alle sind heute Vormittag mit ihren Koffern hier angereist", sagte am Donnerstag Anwältin De Clerck. "Sie gehen heute nicht nach Hause, sondern sie begeben sich an einen abgeschiedenen Ort. Dort müssen sie sich mit knapp 300 Fragen beschäftigen, 300 Knoten, die sie auflösen müssen. Sie müssen über Schuld oder Unschuld der Angeklagten befinden und ihren Beschluss auch begründen."
Urteil zum Nationalfeiertag?
Dass die Geschworenen dieser Aufgabe gewachsen sein werden, davon ist Presserichter Luc Hennart überzeugt. Denn die Geschworenen haben ihn bisher positiv überrascht. "Man kann nur feststellen", lobt er, "dass die einfachen Bürger, die Richter geworden sind, sehr aufmerksam gewesen sind. Vom ersten bis zum letzten Tag, und das waren immerhin sieben Monate. Und die Aufmerksamkeit ist unverändert".
Die Geschworenen und ihre Stellvertreter dürfen seit Donnerstagabend keinen Kontakt zur Außenwelt mehr haben. Das würde sonst als Beeinflussung gewertet, der ganze Prozess könnte dadurch seine Gültigkeit verlieren. In dem Gebäude - man spekuliert über ein Hotel, dessen Standort aber nicht bekannt ist - beraten die zwölf Geschworenen zunächst allein, getrennt von ihre 15 übriggebliebenen Stellvertretern. Nur wenn ein Geschworener ausfallen sollte, würde ein Stellvertreter zu den Beratungen neu hinzukommen.
Beobachter gehen davon aus, dass diese Beratungen zwischen zwei und drei Wochen dauern könnten. Um den 21. Juli herum könnten die Geschworenen ihre Urteile gefällt haben. Pünktlich zum Nationalfeiertag, wie am Donnerstag die Zeitung La Libre Belgique passend feststellt.
Kay Wagner