""Gierflation", dieses Modewort fasst die aktuelle Situation gut zusammen", sagte Laura Clays von der Verbraucherschutzorganisation Test-Achats in der VRT. "Gierflation" bedeutet, dass Produkte nicht etwa teurer werden, weil die Preise für Rohstoffe oder die Produktionskosten gestiegen sind, sondern nur, weil die Unternehmen ihre Gewinnmargen erhöhen wollen. Genau das wirft man insbesondere der Lebensmittelbranche hierzulande vor.
"Erstmal eine allgemeine Feststellung", sagt Laura Clays. "Wir berechnen jeden Monat die Inflation, indem wir die Preise von 3.000 Produkten bei sieben verschiedenen Supermarktketten vergleichen mit denen des letzten Jahres. Im Juni lag diese Teuerungsrate bei 17 Prozent. Heißt also konkret: Im Juni waren die Preise in den Supermärkten um 17 Prozent höher als exakt vor einem Jahr." Um es einmal mit Adam Riese zu sagen: Ein Einkaufswagen, der vor einem Jahr noch 100 Euro kostete, den bezahlt man jetzt 117 Euro - fast ein Fünftel mehr. Das fällt wirklich jedem auf.
Preissenkungen nicht an Kunden weitergereicht
Für diese Entwicklung gab es freilich ursprünglich sehr konkrete Ursachen. Die wichtigste, die auch zu Recht immer wieder angeführt wird, ist der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Der hat, grob gesagt, dafür gesorgt, dass zumindest zwei Preise regelrecht abgehoben sind, nämlich die für Energie und die für Getreide. Weil diese beiden Faktoren gerade in der Lebensmittelbranche so sehr zum Tragen kommen, kann man dadurch die Inflation vor allem im letzten Jahr durchaus erklären.
Nur müsste das auch in umgekehrtem Sinne funktionieren, sprich: Wenn Energie und Getreide billiger werden, dann müssten auch die Preise für Lebensmittel wieder sinken. "Doch genau das sehen wir nicht", sagt Laura Clays von Test-Achats. "Also, wenn Getreide günstiger wird, dann müssten doch eigentlich die Preise etwa für Mehl oder Pasta sinken. Das allerdings ist nicht der Fall. Ok, zehn Produkte sind tatsächlich günstiger geworden; bei 17 anderen ist es aber umgekehrt, deren Preise sind gestiegen. Das ist doch seltsam", sagt Laura Clays.
Für dieses "seltsame" Phänomen sieht Test-Achats eben nur eine Erklärung: Die Unternehmen gingen davon aus, dass die Kunden sich an die hohen Preise mehr oder weniger "gewöhnt" haben. Entsprechend reichten sie die Preissenkungen nicht an ihre Kunden weiter, sondern steckten sie ein.
Appell der Politik
"Gierflation" eben, so zumindest der Verdacht. Deswegen hat Test-Achats denn auch Beschwerde eingelegt bei der Nationalen Wettbewerbsbehörde, die der Frage nachgehen soll, inwieweit insbesondere die Lebensmittelbranche hier "falsch" spielt.
Denn, und das ist der Punkt: Beispiele im Ausland zeigen, dass es durchaus auch anders geht. In den Nachbarländern folgen die Preise viel direkter der Entwicklung an den Weltmärkten als in Belgien. "Das ist nicht normal und das darf auch nicht so bleiben", sagte auch der föderale Wirtschaftsminister Pierre-Yves Dermagne in der Kammer.
Dermagne will es nicht dabei belassen. Er hat den Lebensmittelverband Fevia aufgefordert, bis Mitte Juli eine Regelung zu finden, die zur Folge hat, dass sich die sinkenden Weltmarktpreise schneller an den heimischen Supermarktkassen bemerkbar machen. Ein solcher Appell der Politik ist immer auch ein unterschwelliges Ultimatum - nach dem Motto: Wenn Ihr das nicht selbst hinbekommt, dann wird die Regierung da notfalls "nachhelfen". Die Lebensmittelindustrie ist also gewarnt.
Roger Pint