Was beim nationalen Aktionstag im Fokus steht, das ist schon an der Zusammensetzung des Demonstrationszuges eindeutig abzulesen: Die Gemeinschaftsfront der christlichen, liberalen und sozialistischen Gewerkschaften hat vor allem bei den Angestellten der Supermarkt-Kette Delhaize massiv für eine Teilnahme geworben, wie Kristel Van Damme von der ACV-Puls der VRT erklärte. "Diese Menschen führen den Demonstrationszug an und vor allem ihnen soll die Aufmerksamkeit gelten."
Der Grund dafür liegt natürlich auf der Hand: Seit rund neun Wochen herrscht bei Delhaize ein zeitweise sehr heftig ausgetragener Sozialkonflikt. Die Geschäftsführung der Supermarktkette will alle noch verbleibenden betriebseigenen Supermärkte konzessionieren, das heißt in Zukunft von Franchisenehmern betreiben lassen.
Aus Sicht der betroffenen Arbeitnehmer und Gewerkschaften wird das aber langfristig auf eine Verschlechterung der Lohn- und Arbeitsbedingungen und Stellenabbau hinauslaufen, und zudem noch auf eine viel schwächere gewerkschaftliche Vertretung.
Diese Entwicklung und die aus Sicht der Gewerkschaften Totalverweigerung eines Sozialdialogs ist für die Arbeitnehmervertreter aber ein rotes Tuch, das weit über Delhaize hinausgeht. Allen sei klar, dass die Entwicklung hin zu schlechteren Arbeitsbedingungen und Löhnen nicht ein Problem sei, das auf Delhaize beschränkt sei - genauso wenig wie die Beschneidung des Streikrechts.
Präzedenzfall
Denn die Gewerkschaften sehen in diesem Punkt einen sehr gefährlichen Präzedenzfall im Delhaize-Dossier. Delhaize hat schon mehrfach Gerichtsvollzieher eingesetzt gegen Streikposten, die Lager und Filialen blockiert haben. Und auch die Polizei ist in diesem Zusammenhang bereits zum Einsatz gekommen.
Delhaize setze außerdem Studenten und Personal aus anderen Filialen ein, um die Streiks zu brechen, so Van Damme. Auch das sei nicht hinnehmbar. Hier werde im Prinzip das angegriffen, was den Kern des Streikens ausmache, sagte Thierry Bodson von der FGTB im Interview der RTBF. Sinn und Zweck eines Streiks sei natürlich, wirtschaftlichen Schaden zu verursachen und dadurch Druck auf den Arbeitgeber aufzubauen.
Bodson sieht die Gewerkschaften in diesem Zusammenhang zwar nicht im Kampf gegen die Justiz an sich, greift aber scharf einzelne Richter und ihre Entscheidungen zu den Streikposten bei Delhaize an: Zwei bis drei Richter bewerteten die wirtschaftlichen Interessen der Delhaize-Geschäftsführung höher als die Interessen und Rechte der Arbeitnehmer, was vollkommen verkehrt sei. Denn das Streikrecht sei im Gegensatz zur Handelsfreiheit ein Grundrecht.
Kriegserklärung
Die Sorge nicht nur der Gewerkschaften geht aber noch weiter: Ein neuer Gesetzesentwurf sieht nämlich vor, dass Menschen, die im Zusammenhang mit Demonstrationen gerichtlich belangt werden für Personen- oder Sachschäden, in Zukunft außerdem drei Jahre lang nicht mehr an Demonstrationen teilnehmen dürfen. Laut Aussage des Justizministers sollen damit notorische Krawallmacher ins Visier genommen werden.
Die Gewerkschaften aber sehen das schlicht als einen Versuch zur breiten Einschüchterung und Repression. Denn das werde effektiv jeden Gewerkschaftsaktivisten, der im Zusammenhang mit Protestaktionen zu einer Strafe verurteilt werde, drei Jahre lang von jeglicher Art öffentlicher Aktionen ausschließen.
Dass die Föderalregierung mitten im ungelösten Sozialkonflikt mit Delhaize einen solchen Gesetzesentwurf geschrieben habe und offenbar vorgehabt habe, ihn klammheimlich umzusetzen, sei nichts anderes als eine Provokation, so Bodson, und eine Kriegserklärung an die Gewerkschaften. Eine Kriegserklärung, auf die die Gewerkschaften am Montag eben öffentlich reagieren mit ihrem Aktionstag und Marsch durch die Hauptstadt.
belga/sh
Es gibt kein Recht, mittels Streikposten einen Betrieb zu blockieren. Wie sonst könnten Gerichtsvollzieher die Aufhebung einer Blockade verlangen ? Ein Gerichtsvollzieher und Gerichte sind ans Recht gebunden.
Die gängige Praxis, dass Streikposten Betriebe blockieren bei Sozialkonflikten, ist eigentlich Selbstjustiz. Warum haben die Gewerkschaften nie für eine Legalisierung dieser Praxis gesorgt ? Hat es Versuche gegeben ?