So einfach rein kommt man als Journalist nicht. Als ich kurz nach 9 Uhr die Klingel mit der Aufschrift "Toc Toc Nicole" drücke, geht die Tür zwar einen Spalt weit auf. Hinein lässt mich der Mann allerdings nicht, den ich später als Alex aus Burundi kennenlernen soll.
Also warte ich auf der Rue de la Loi, 200 Meter vom EU-Ratsgebäude entfernt, im Schatten der CD&V-Parteizentrale. Der morgendliche Autoverkehr rauscht durch die Straßenschlucht, EU-Beschäftigte auf dem Fahrrad eilen irgendwohin oder gehen zu Fuß an mir vorbei. Nur selten fällt mal ein Blick auf die mit Spruchbändern behängte Hauswand, wo Alex mir eben die Tür aufgemacht hatte.
Dann erscheint Yvain vor dem Gebäude. Der junge Mann gehört zu den Menschen, die sich um die Asylsuchenden kümmern und aktiv für die Hausbesetzung vor drei Wochen gesorgt haben. Freundlicher Empfang, ich darf das Haus betreten. Bereitwillig und offen berichtet er mir über das, was zu sehen ist.
In der Eingangshalle fallen dabei zunächst drei übergroße, farbige Sessel auf. Die Sessel kämen aus den Kabinettsräumen von Staatssekretärin De Moor, erklärt Yvain. Dort hatte der Gerichtsvollzieher die Stühle beschlagnahmt. Er war gekommen, weil Belgien seine Strafen nicht bezahlt - Strafen, weil der Staat nicht allen Asylantragsstellern Unterkunft bietet und damit gegen gültiges Recht verstößt. Die Sessel landeten auf der Straße. Yvain und seine Mitstreiter packten zu.
Selbst geschriebene Plakate in verschiedenen Sprachen hängen an der Wand über den Sesseln. Auch an vielen anderen Wänden des Hauses. Französisch, Englisch und Arabisch kann ich erkennen. Dazu noch eine mir unbekannte Schrift.
Das Haus biete Platz für 100 Menschen, sagt Yvain. Aktuell seien nur Männer da. Die hätten sie in drei Gruppen aufgeteilt: "Afghanen, Eritreer und Jemeniten sind eine Gruppe, dann eine Gruppe Palästinenser, und eine dritte Gruppe, die aus französischsprachigen Menschen besteht, die vor allem aus Westafrika kommen."
Yvain führt mich in einen großen Raum, der als Küche genutzt wird. In der Mitte steht ein großer Tisch. Auf den Ablagen an der Wand steht eine Mikrowelle, zwei Kaffeemaschinen und eine Thermoskanne, verschiedene Körbe mit Brotlaiben, Keksen, fertig verpackten Essensschachteln und anderem. Alles Spenden von Unterstützern. Richtig gekocht werden darf hier nicht.
Wir wollen gerade nach oben zu den Schlafräumen gehen, als ein erster Bewohner auftaucht. Er möchte Toilettenpapier haben. Zusammen mit ihm sucht Yvain in dem Vorratsraum, wo eine ganze Reihe von Hygieneartikeln und Medikamenten gelagert werden. Ebenfalls alles Spenden. Während wir dann nach oben gehen, erklärt Yvain, dass es außer Toiletten und Waschbecken keine weiteren sanitären Anlagen im Haus gibt. Zum Duschen müssen die Bewohner immer an andere Stellen in der Stadt, wo ihnen diese Möglichkeit geboten wird.
Dann stehen wir vor einem Schlafsaal. Yvain klopft erst an, um zu fragen, ob wir reinkommen dürfen. Wir dürfen, und hier treffe ich wieder auf Alex, der mir anfangs die Haustür aufgemacht hatte. Elf Matratzen liegen auf dem Boden. Wenig Platz, um sich zu bewegen. Es ist sauber und sieht ziemlich geordnet aus. Die Asylsuchenden kümmern sich selbst darum, die Räume im Haus zu pflegen.
Neben Alex sind noch drei seiner Schicksalsgenossen mit im Raum. Alle angezogen, fertig für den Tag. Einer von ihnen, Martin aus Kamerun, erzählt mir seine Geschichte. "Als ich im Dezember in Belgien angekommen bin und Asyl beantragen wollte, hat man mir gesagt, dass es keinen Platz für mich gebe. Ich habe dann drei Monate auf der Straße gelebt."
Auf dem Flur treffe ich auf Ismael aus dem Niger. Er sei vor den Konflikten zwischen Militär und Rebellen in seinem Land geflohen, sein Leben habe auf dem Spiel gestanden. Beruflich war er im Personalmanagement und als Kassierer beschäftigt. Nach Belgien hätte ihn ein Fluchthelfer für viel Geld mit dem Flugzeug gebracht, das Land habe er sich nicht aussuchen können. Sein Glaube gebe ihm Kraft, die schwierige Situation durchzustehen, in der er sich aktuell befinde.
Ahmed aus dem Jemen, der immer wieder mal auftaucht, von Yvain "Boss" genannt wird, gerne lacht, sich sogar fotografieren lässt, aber nicht ins Mikro sprechen will, ist eigentlich Frisör. Und sein Landsmann Magd, der gerade das Haus verlassen will, ist Journalist, wie er erzählt. "Ich bin auf der Suche nach einem besseren Leben. Ich habe den Jemen wegen des Kriegs dort verlassen. Vier Monate schon suche ich nach einem Platz in einem Zentrum oder Camp, um hier starten zu können. Aber bislang hat das leider nicht geklappt."
Kay Wagner