Brüssel ist seit jeher eine Spielwiese für Schlapphüte aus aller Welt. Man erinnere sich nur an den Skandal um das verwanzte EU-Ratsgebäude vor genau 20 Jahren. Im Justus-Lipsius-Komplex, wo also die EU-Staats- und Regierungschefs früher zu ihren Gipfeltreffen zusammenkamen, eben in diesem ungemein sensiblen Gebäude entdeckte man 2003 ein hochentwickeltes Abhörsystem, das offensichtlich schon beim Bau installiert worden war.
Der Stellenwert von Brüssel für die Geheimdienste wird jetzt auch durch einen ganz profanen Gradmesser nochmal illustriert. Einige europäische Medienhäuser haben sich die Botschaftsgebäude der Russischen Föderation mal genauer angeschaut. Im Grunde hat man sich einfach nur mal die Mühe gemacht, die Kommunikationsantennen zu zählen, die auf dem Gelände der verschiedenen russischen Auslandsvertretungen installiert sind.
Resultat: An der russischen Botschaft in Brüssel befinden sich im europäischen Vergleich die meisten Antennen, nämlich 17 an der Zahl, sagte in der RTBF Lars Bové, Journalist bei der Zeitung De Tijd. "17 Parabolantennen, die braucht man nicht, um russische Fernsehsender reinzukriegen. Die braucht man auch nicht, um simple diplomatische Kommunikation abzuwickeln. Diese Antennen müssen auch noch einen anderen Zweck haben. Und das ist wohl Spionage. Das bestätigen auch Geheimdienstquellen in anderen Ländern."
Diese Antennen fangen so ein bisschen alles auf, was hierzulande durch den Äther geht, sagt Bové. "Das kann Langstreckenkommunikation sein. Das können aber auch zum Beispiel Satellitentelefone von Privatpersonen sein. Das kann den Schiffsverkehr betreffen, aber natürlich auch das Militär."
Bestätigung gibt es von einem Insider. "Brüssel ist für Russland weltweit das Ziel Nummer drei", sagte in der RTBF Sergueï Jirnov, der jahrzehntelang für den sowjetischen und später auch den russischen Geheimdienst gearbeitet hat und der jetzt in Frankreich im Exil lebt. "Ganz oben auf der Prioritätenliste der russischen Nachrichtendienste steht Washington, gefolgt von New York. Direkt danach kommt aber schon Brüssel", sagt Jirnov. "Der Grund liegt auf der Hand: In Brüssel befinden sich die Hauptsitze der EU-Kommission und der Nato, und dann nochmal wichtige Auslandsvertretungen der jeweiligen Mitgliedstaaten."
Und natürlich könne die Zahl der Antennen auf dem Gelände der Auslandsvertretungen ein Hinweis darauf sein, wie ausgeprägt die nachrichtendienstliche Tätigkeit an dem entsprechenden Standort ist, sagt Sergueï Jirnov. "Denn es ist so: Gerade mal fünf Prozent dieser Antennen dienen der reinen diplomatischen Kommunikation. Der Rest wurde für andere Zwecke installiert. Das war in Sowjetzeiten so, und das gilt heute immer noch."
Die russischen Nachrichtendienste, die unter dem Dach von Botschaften oder Konsulaten operieren, ob nun KGB, FSB oder GRU, hören vor allem die Kommunikation der staatlichen Behörden ab, sagt der Ex-Agent und spricht da wohl aus eigener Erfahrung. Ministerien, Polizei, Militär, ... im Grunde alles, was entschlüsselt werden kann.
Nun muss man natürlich sagen, dass Russland hier bestimmt nicht das Monopol hat. Dass die US-Geheimdienste ebenfalls alles abhören, was ihnen in die Satellitenschüssel kommt, ungeachtet ob von Freund oder Feind, weiß man spätestens seit den Enthüllungen von Edward Snowden. Und die sogenannten Ukraine-Leaks, also das Datenleck, das aktuell für so viel Wirbel sorgt, scheinen darauf hinzudeuten, dass sich daran nichts geändert hat.
Russland steht jetzt allerdings noch einmal besonders im Fokus seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine. In den letzten 14 Monaten hat Belgien eine Reihe von russischen Botschaftsangehörigen ausgewiesen. Man habe sich dabei auf Leute konzentriert, von denen man ausging, dass sie eigentlich für die Nachrichtendienste arbeiteten, mit einem besonderen Augenmerk auf Technikern und IT-Profilen, bestätigt Justizminister Vincent Van Quickenborne in De Tijd. Denn solche Leute seien besonders wichtig für Geheimdienstoperationen wie Hacking oder dem Sammeln von Daten. "Wir halten uns natürlich an die völkerrechtlichen Regeln in Bezug auf diplomatische Auslandsvertretungen", sagt Van Quickenborne. "Das heißt aber nicht, dass wir naiv sind."
Roger Pint