Den Stein ins Rollen brachten die französische Tageszeitung Le Monde und das Nachrichtenportal Politico. Beide Medienhäuser haben das Reisekosten-Budget von EU-Ratspräsident Charles Michel einsehen können. Demnach hat Michel im vergangenen Jahr für seine Dienstreisen 1,7 Millionen Euro in Rechnung gestellt.
Vieles erklärt sich offensichtlich schon allein dadurch, dass Michel ungewöhnlich oft an Bord eines Privatjets reist, der bei einer Luxemburger Firma gemietet wird. Le Monde und Politico können die Kosten sogar aufdröseln. Und da stehen dann doch einige beeindruckende Zahlen im Raum: Die Reise nach China war die teuerste. Kostenpunkt: 460.000 Euro.
In Rechnung gestellt wurden aber auch regelrechte Flohhüpfer: ein Flug nach Berlin für 37.000 Euro, ein Flug nach Paris für 35.000 Euro und ein Flug nach Wien für 20.000 Euro. Sogar nach Straßburg hat sich Michel mit einem Privatjet fliegen lassen; gleich fünfmal im vergangenen Jahr. Preis pro Flug: mindestens 12.000 Euro.
Und man geht offenbar davon aus, dass diese Ausgaben noch steigen werden. Im Haushalt 2024 wurden laut Le Monde und Politico knapp zwei Millionen Euro für die Dienstreisen des Ratsvorsitzenden veranschlagt. Das ist, über den Daumen gepeilt, viermal mehr als Michels Amtsvorgänger Donald Tusk und Herman Van Rompuy in Rechnung gestellt haben: Beide haben jeweils nur rund 500.000 Euro für Dienstreisen aufgewendet.
Hier geht es wohlgemerkt nicht um Betrugsvorwürfe oder dergleichen. All diese Kosten wurden ordnungsgemäß abgerechnet. Die Frage ist nur, ob Charles Michel da nicht zu dick aufträgt.
Im Grunde passt das alles gewissermaßen ins Bild, sagte in der VRT die Journalistin Barbara Moens, die für das Nachrichtenportal Politico an der Story gearbeitet hat. Michel lege zunächst - im Gegensatz zu seinen Vorgängern - einfach mehr Wert auf die außenpolitische Komponente des Jobs. Das sei auch eine Folge des Kriegs in der Ukraine. Die Europäer müssen in diesen Tagen auf dem diplomatischen Parket aktiver sein, um die Welt von ihrer Position zu überzeugen.
Kritik an Amtsführung
Nur kann man eben nicht auf allen Hochzeiten gleichzeitig tanzen. Konkret: In dem Moment, in dem Charles Michel in diplomatischer Mission durch die Welt tingelt, kann er nicht seinen eigentlichen Job machen, nämlich Schnittmengen suchen, um die Positionen der Mitgliedstaaten in den verschiedensten Bereichen auf einen Nenner zu kriegen. Und auch das sorgt schon seit längerer Zeit für Naserümpfen in Diplomatenkreisen. "Erst bemerkt man nur ein Getuschel in den Fluren oder hinter verschlossenen Türen", sagt Barbara Moens. "Irgendwann stellt man aber fest, dass im Grunde jeder den Ratspräsidenten wegen seiner Amtsführung kritisiert, ob nun Diplomaten oder Politiker."
Das alles nur, um zu sagen: Es ist längst nicht das erste Mal, dass sich an Charles Michel die Geister scheiden. Doch seit er verstärkt auf der Weltbühne unterwegs ist, wurde die Kritik nur noch lauter. Zwei Probleme, sagt Barbara Moens: Manchmal hat Michel Positionen vertreten, die nicht von allen Mitgliedstaaten geteilt wurden, wobei genau das ja seine Aufgabe wäre, also eben die Standpunkte zu einen. Und zweitens sehen es große Länder wie Frankreich oder Deutschland nicht gerne, wenn EU-Vertreter außenpolitisch allzu aktiv werden.
Bogen überspannt
Man kann also behaupten, dass Charles Michel teilweise auch bewusst angeeckt ist. Nur wäre man dann gut beraten, sich nicht noch unnötig zur Zielscheibe zu machen. Genau das habe der Ratspräsident aber getan, etwa wegen seiner aufgeblasenen Entourage, wegen der schönen Hotels, in denen er logiert, wegen der Privatjets. "Klar gehört das irgendwie dazu: Ein EU-Ratspräsident kommt schließlich nicht mit dem Fahrrad zu einem Gipfeltreffen. Nur hat Michel da den Bogen etwas überspannt", glaubt die Politico-Journalistin.
Zusätzlich problematisch seien die Privatflüge zudem vor dem Hintergrund der EU-Klimaschutzagenda. Insgesamt gebe Michel hier also ein unglückliches Bild ab, das ihn intern zunehmend schwächt. Die linken Fraktionen im EU-Parlament wollen dem Ratspräsidenten schon auf den Zahn fühlen. Und auch einige Mitgliedsländer wie Deutschland, Italien oder Polen fordern von Michel eine Erklärung für seine explodierenden Reisekosten.
Roger Pint
Offensichtlich kommen wohlmeinenden Weltenrettern und Politikern im Privatjet immer die besten Ideen, welche Einschränkungen und Verzichtsgebote man dem Normalbürger aufzubürden hat, um das Klima zu retten.