Ein Jahr nach den Bombenexplosionen am Flughafen Zaventem und in der Metrostation Maelbeek lag Karen Northshield immer noch im Krankenhaus - als allerletztes der überlebenden Opfer.
Am Tag der Anschläge wollte die belgisch-amerikanische Staatsbürgerin in die USA zu ihrer Großmutter fliegen. Northshield war Spitzensportlerin, belgische Meisterin im Schwimmen, Projekte für eine unternehmerische Zukunft im Sport lagen schon in der Schublade. Die erste Bombenexplosion am Flughafen hat das alles zunichtegemacht - in Bruchteilen von Sekunden.
Northshield wurde die Hüfte weggerissen, ihre Gedärme hängen aus dem zerfetzten Körper heraus. "Die Ärzte gaben mir damals eine Überlebenschance von null", sagte sie am Mittwoch bei ihrer Anhörung in Brüssel - zu der sie eigentlich gar nicht kommen wollte. Nur auf Drängen und Bitten anderer Opfer, belgischer Bürger und ihres eigenen Umfeldes habe sie sich letztlich dazu entschieden, doch von ihrem Schicksal zu berichten, sagte Northshield der RTBF.
"Kriegsinvalide"
79 Tage schwebte Northshield zwischen Leben und Tod, mehr als 60 Operationen hat sie über sich ergehen lassen. "Ich bin nicht tot, aber ich war in der Hölle", sagte sie am Mittwoch im Gerichtssaal. Als die vorsitzende Richterin Karen Northshield zu Beginn der Anhörung nach ihrem Beruf fragt, antwortet die heute 37-Jährige mit dem Wort: "Kriegsinvalide". "Ich bin überzogen mit Spuren von Kriegsverletzungen, von Kopf bis Fuß. Viele davon sind nicht zu sehen, aber sie sind sehr wohl vorhanden. Zum Beispiel mein Gehör: Ich höre kaum noch, ich habe gelernt, Worte von den Lippen anderen Menschen zu lesen. Ich leide unter einem ständigen Tinnitus. Splitter der Bombe sind immer noch in meinem Körper", erklärt sie nach der Anhörung.
Jeder Tag sei ein neuer Kampf gegen die Spuren der Zertrümmerung, die die Bombe in ihr hinterlassen habe. Sie lebt ohne linke Hüfte und ohne Magen. Mutter werde sie nie sein können, ihre eigene Mutter nie Oma.
Fortbewegen kann Northshield sich mittlerweile wieder mit Krücken oder per Rollstuhl.
Taten "unmenschlich und unverzeihlich"
Vergebung für die Täter hat sie nicht. "Was Sie getan haben, ist unmenschlich und unverzeihlich", sagte sie gestern in Richtung der anwesenden Angeklagten im Saal.
Auch gegen Belgien und vor allem den Versicherungsapparat erhebt sie Vorwürfe: Es sei vollkommen absurd, dass sie immer noch, sieben Jahre nach den Anschlägen, bei Versicherungen nachweisen müsse, dass sie unter körperlichen und seelischen Folgeschäden der Anschläge von damals leide. Immer wieder aufs Neue würden solche Nachweise aber von ihr gefordert. Das dürfe eigentlich nicht sein, so Northshield im Zitat der Zeitung "Le Soir".
Aufgeben kommt für sie allerdings nicht in Frage, ganz im Gegenteil. "Mein Leben ist mir heute wichtiger denn je", sagt sie. "Nach diesem langen Leidensweg, den Kämpfen an so vielen Fronten, den unaufhörlichen Achterbahnfahrten, die nie aufhören wollen. Ich verdiene es zu leben, mehr als je zuvor. Ich verdiene es, glücklich zu sein, in Frieden zu leben, mehr als je zuvor."
Kay Wagner
Tief beeindruckend