Emotionale Tage beim Brüsseler Terrorprozess. Aussagen, die einen sprachlos machen, die einem noch mal sehr klar vor Augen führen, was da am 22. März 2016 wirklich passiert ist. Denn für Außenstehende beschränkt sich die Tragödie oft irgendwann nur noch auf die reinen Fakten. Dass sich hinter den Opferzahlen genauso viele Schicksale verbergen, daran wird man in diesen Tagen noch einmal erinnert.
Wie das Schicksal von Béatrice Lasnier de Lavalette. Sie war die erste Nebenklägerin, die in dem Prozess ausgesagt hat. Béatrice war 17, als sie am 22. März 2016 von der Bombe buchstäblich weggeblasen wurde. Schwer verletzt lag sie auf dem Boden. Neben ihr eine Frau. Instinktiv habe sie ihre Hand gepackt. Wer das war, ob die Dame überlebt hat, das werde sie wohl nie erfahren. Ihre Hand zu halten, das habe ihr damals aber Hoffnung gegeben, sagt Béatrice.
Béatrice war so schwer verletzt, dass man ihr bei der Triage den "Code Rot" gab. "Rot" heißt: Es gibt kaum noch Hoffnung. Danach kommt nur noch "Code Schwarz": tot. Und doch hat sie überlebt. Ihre beiden Unterbeine mussten amputiert werden, aber Béatrice kämpfte sich zurück ins Leben. Sie, die passionierte Dressurreiterin, investierte sich wieder voll in ihren Sport und schaffte es sogar in das US-Team bei den Paralympics in Tokyo. Neben der französischen hat sie nämlich auch die amerikanische Staatsbürgerschaft.
Ja, es sei schon krass gewesen, die Angeklagten zum ersten Mal zu sehen und ihnen dann auch in die Augen zu blicken, sagt Béatrice. Dann habe sie sich gesagt: "Das sind auch nur Menschen, die anderen darüber hinaus sehr viel Leid zugefügt haben. Und das aus absolut dämlichen Beweggründen heraus." "Aber, ja: Das war schwer, schwerer als gedacht", sagt Béatrice. Nur sei es ihr wichtig gewesen, vor dem Gericht ihre Geschichte zu erzählen.
Nach Béatrice war es an Nidhi Chaphekar, ihre Geschichte zu erzählen. Sie war extra aus Indien angereist, wo sie lebt. Nidhi Chaphekar kennt eigentlich jeder: Ihr Foto ist um die Welt gegangen. Das Foto, auf dem sie zu sehen ist, wie sie mit blutüberströmtem Gesicht und ihrer zerfetzten Flugbegleiterinnen-Uniform auf einer Bank in der Abflughalle sitzt. Sie wurde zum Gesicht der Tragödie.
Was man auf dem Foto nicht sehen oder ahnen konnte: Nidhi war sehr schwer verletzt. Es war zwischenzeitlich nicht sicher, dass sie durchkommen würde. Ohne ihre Familie hätte sie das nie geschafft, sagt sie hörbar gerührt. Ihr Mann und ihre Kinder hätten sie ins Leben zurückgeholt.
Auch Nidhi Chaphekar kämpft bis heute mit den Spätfolgen ihrer schweren Verletzungen. Und auch für sie war es sehr wichtig, vor den Richtern und Geschworenen ihre Geschichte zu erzählen. Das sei so eine Art Schlussstrich. Was sie erleiden musste, das sollte jeder wissen. Auch die Terroristen. Deswegen habe sie den langen Weg aus Indien auf sich genommen.
Loubna Selassi war ihrerseits nicht am Ort des Geschehens. Es ist ihr Mann Abdallah, der in Zaventem schwer verletzt wurde. Doch bestimmt jener unselige 22. März immer noch das Leben der ganzen Familie, sagt Loubna. Und es sei ihr ein Anliegen gewesen, vor dem Gericht auszusagen, zu schildern, was ihre Familie seit der Tragödie habe durchmachen müssen und sieben Jahre später immer noch durchmache.
Drei Beispiele, die illustrieren, wie wichtig ein solcher Prozess für die Opfer bzw. die Angehörigen ist. In gewisser Weise ist es ein Schlusspunkt, wohlwissend, dass die Tragödie die Menschen wohl ihr Leben lang begleiten wird.
Im Augenblick wird erstmal der Anschlag in der Abflughalle des Brussels Airport in Zaventem behandelt. Die Aussagen derer, die in der Metrostation Maelbeek waren, folgen erst in einer zweiten Phase. Bis Ende des Monats sollen insgesamt knapp 100 Nebenkläger vor dem Schwurgericht auftreten.
Roger Pint